Ruwen Chaimov ging auf der Eastern Parkway, einer der größten Straßen in Brooklyn. Er beendete soeben seine letzte Lernstunde in der Jeschiwa „Chowewe Thora“ und machte sich auf den Weg zum Lehrhaus des Lubawitscher Rebben „770“. Obwohl es schon dunkel war, bemerkte er auf einmal einen Mann, dessen Gesicht ihm sehr bekannt schien. Dabei handelte es sich um einen alten Bekannten aus Taschkent, einer Stadt in Buchara, seinem Geburtsort. Der Mann wanderte aus Taschkent nach Israel aus, wo er mit Diamantenhandel erfolgreich tätig war. „Wie geht es Dir“, begrüßte ihn Ruwen. „Erinnerst Du Dich an mich?“ Der Mann erinnerte sich sehr wohl an Ruwen. „Was führt Dich hierher“, interessierte sich Ruwen. Zu Beginn antwortete der Mann nicht. Doch dann seufzte er: „Leider große Probleme. Ich hätte aber eine Bitte an Dich. Ich habe versucht, ein Treffen mit dem Rebben zu arrangieren, aber der Sekretär sagte, dass die Warteschlange sehr lang sei. Vielleicht könntest Du ein gutes Wort für mich einlegen, damit ich schneller drankomme. Es ist wirklich dringend.“
„Ich bin bereit es zu versuchen“, erwiderte er, „aber unter einer Bedingung.“ Der Mann blickte Ruwen verwundert an, und Ruwen erklärte sofort. „Die Bedingung lautet, dass Du versprichst, alles, was der Rebbe Dir anordnet, zu tun.“
„Ich bin zu Allem bereit, außer einer Sache: Ich werde auf keinem Fall nach Israel zurückkehren, selbst wenn der Rebbe dies von mir verlangt“, äußerte sich der Mann entschlossen. Ruwen hielt sein Wort und bat das Sekretariat des Rebben, einen baldigen Termin für ein Privatgespräch mit dem Rebben festzulegen. Das früheste Datum ergab sich erst in zehn Tagen, doch der Mann war bereit zu warten. Inzwischen verbrachte er seine Tage im Lehrhaus des Rebben, in Begleitung von Ruwen. Den größten Eindruck machte auf ihn die Hitwaadut des Rebben, wo die Chassidim zusammenkommen, um die Worte des Rebben zu vernehmen. Dies war am besonderen Tag „Jud Schwat“ (10. Schwat), an welchem der Rebbe die Anführung der Chabad-Bewegung, nach Ableben seines Schwiegervaters, übernahm. Unter Ruwens Anleitung, fastete der Mann am Tag des Treffens mit dem Rebben. Am Morgen ging er ins rituelle Reinigungsbad, und bis zu seinem Gespräch mit dem Rebben las er Psalmen. Schließlich trat er in das Zimmer des Rebben. Ruwen wartete draußen auf ihn. Als der Mann aus dem Zimmer kam, sah er sehr mitgerissen aus. Er erzählte Ruwen kein Wort über das Gespräch. Es war bereits Nacht und Ruwen bot dem Mann an, in seinem Zimmer im Domizil der Jeschiwa zu übernachten. Der Mann nahm die Einladung an. In den frühen Morgenstunden erwachte Ruwen erschrocken. Jemand hatte ihn an der Schulter geschüttelt. „Jetzt will ich Dir erzählen, was im Zimmer des Rebben vorgefallen ist“, sagte der Mann aufgeregt.
„In Taschkent war ich Mitglied der kommunistischen Partei und erhielt das Vorrecht, ein großes Geschäft zum Verkauf von Lebensmittel zu leiten. In den siebziger Jahren, als es vielen Juden gelang, aus der Sowjetunion mit gefälschten Papieren zu flüchten, teilte mir mein Vater mit, dass auch er mit der gesamten Familie nach Israel auswandern möchte. „So wie Du die notwenigen Personen bestochen hast, um anderen den Roten Ausweis zu besorgen, erledige dies auch für Deine Familie“, verlangte mein Vater. Ich befürchtete, dass meine Bitte als Parteimitglied das Land zu verlassen, nicht genehmigt werden würde. Andererseits wollte auch ich mich von der Unterdrückung in der Sowjetunion befreien. Ich überwand meine Befürchtungen, bestach die relevanten Personen und bekam Ausreisegenehmigungen für die ganze Familie.
Als ich Russland verließ, trug ich eine halbe Million Rubel mit mir. In Israel versuchte ich mein Glück im Diamantenhandel. Ich war sehr erfolgreich, doch nach einiger Zeit wendete sich das Schicksal und ich erlitt große Verluste. Als Mitglied der Diamantenbörse gewährte mir die Bank einen Kredit in Höhe von dreihundertfünfzig tausend US-Dollar, um zu versuchen, mich wieder aufzubauen. Doch der gesamte Betrag ging in einem misslungenen Geschäft verloren. Es wurde mir ein Ausreiseverbot auferlegt, bis ich meine Schulden begleichen würde. Ich bat ins Ausland zu reisen, um das nötige Geld für meine Schulden aufzutreiben. Nach großen Bemühungen wurde mir schließlich die Ausreise für diesen Zweck gewährt. Ich schrieb die ganze Geschichte nieder, und als ich vor dem Rebben stand, übergab ich ihm den Brief. Der Rebbe überflog den Brief, und sagte: „Als Sie Russland verließen, versprachen Sie fortan Maaßer (zehn Prozent des Gewinns zu spenden) zu geben. Sie haben aber ihr Versprechen nicht eingehalten. Sobald Sie Ihrer Verpflichtung nachgehen, wird sich Ihre finanzielle Lage bessern“, versprach der Rebbe. Ich war fassungslos. Woher wusste der Rebbe über mein Versprechen? Die Tatsache, dass vor den Augen des Rebben nichts verborgen blieb, bewegte mich sehr. Und ich entschied mich noch in dieser Nacht mein damaliges Versprechen einzuhalten.“
Mit der Zeit schaffte es der Mann sich zu rehabilitieren, zahlte die Schulden zurück und sah wieder Erfolg in seinen Geschäften. Heute leitet er einen weltweiten Diamantenbetrieb mit Zweigstellen in Israel, New York und Hong Kong.
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