„Vor etlichen Jahren“, begann Rabbi Izik Gershovitz seine Geschichte, „lernte ich in der Chabad-Jeschiwa in Zefat. Freitags begab ich mich in einen menschenvollen Park; dort bot ich jedem Vorbeigehenden an, Tefilin anzulegen. ,Mein teurer Herr‘, wandte ich mich an einen Spaziergänger, ,haben Sie heute schon Tefilin angelegt?‘ Anstatt mir zu antworten, erwiderte er mit folgender Bitte: „Erzähl mir doch eine nette Geschichte.‘ Da begann ich ihm eine Geschichte zu erzählen, die mir gerade einfiel, ohne im Geringsten ihre Auswirkung zu erahnen.
,In einer der Städte Belgiens tauchte eines Tages ein typischer Israeli auf, der an ferne Orte reiste, um dort Geld zu verdienen. Er wollte das Leben genießen und vor allem Ruhe vom stressigen Alltagsleben in Israel finden.
Bedauerlicherweise lernte der Mann, dessen jüdisches Bewusstsein sich so gut wie nur auf seine Identität als Jude beschränkte, eine nichtjüdische Frau kennen. Nach drei Jahren entschlossen die beiden zu heiraten. Doch da ihm bewusst war, dass er vor einem bedeutungsvollen Schritt im Leben stand, wollte er sich zuerst mit einem Rabbiner beraten. Als der Rabbiner erkannte, wie ernst die Lage war, setzte er alles daran den Mann von seiner gefährlichen Entscheidung abzubringen. Er erklärte ihm, dass die Juden alle Jahre des Exils hindurch ihr Leben für den Erhalt des jüdischen Volkes und seiner Einzigartigkeit aufopferten, um nicht zu assimilieren. Der Israeli ließ sich überzeugen und verließ die nichtjüdische Frau.
Es vergingen nur wenige Tage, bis der junge Mann zu der Frau zurückkehrte. Einige Tage vor deren Hochzeit hatte er wieder Gewissensbisse, und er fragte einen anderen Rabbiner um Rat. ,Sicher wird dieser die Dinge nicht so tragisch sehen, wie der erste‘, dachte er sich. Aber auch dieser übte auf ihn großen Druck aus. ,Was willst Du Deinen Kindern und Enkelkindern sagen‘, schreckte er ihn ab. ,Laut dem Judentum werden sie bis in alle Generationen nichtjüdisch sein!‘ Die Worte des Rabbiners drangen in das Herz des Mannes und er verließ die Frau ein zweites Mal. Doch die Probe war nicht so einfach. Denn nach kurzer Zeit konnte er der Versuchung wieder nicht widerstehen und fand sich erneut bei seiner Freundin vor. Ein neuer Hochzeitstermin wurde vereinbart. Doch eine Woche vor der Hochzeit entschied sich der Bräutigam nochmals einen Rabbiner aufzusuchen. Dies würde der letzte Rabbi sein, dessen Rat er anhören würde. Er gelangte zu einem Rabbiner namens Schabtaj Slawetizki, der Schaliach (des Lubawitscher Rebben Gesandten) in Antwerpen. Auch jener versuchte den Mann vor seinem Fehler zu bewahren. Als Rabbi Slawetitzki merkte, wie hartnäckig der Mann war, kam ihm die Idee: ,Fragen Sie den Rebben!‘ Kurz darauf befand sich der junge Israeli in einer langen Warteschlange bei der Dollarverteilung des Lubawitscher Rebben. Als er nun endlich vor dem Rebben stand, stellte er ihm sein Dilemma dar. Der Rebbe wandte ihm einen liebevollen Blick zu. ,Ich beneide Sie‘, sagte der Rebbe völlig überraschend. Der Mann glaubte seinen Ohren nicht.
Der Rebbe fuhr fort: ,Jedem Juden, dem G-tt eine Prüfung stellt und er sie meistert, wird diese Prüfung zu einer Leiter, auf der er nach oben steigen kann! Ich hatte eine solche Prüfung und so eine Leiter niemals! Die Prüfung ist zweifellos schwierig, aber es ist wichtig, den Moment zu nützen und aufzusteigen‘, beendete der Rebbe ermutigend. Der Rebbe hatte auf den jungen Mann einen starken Eindruck hinterlassen. Er spürte, dass der Rebbe genau die Worte gefunden hatte, welche er so sehr brauchte. Er beschloss, seine nichtjüdische Freundin ein für alle Mal zu verlassen! Als Rabbi Slawetitzki ihn fragte, weshalb er ausgerechnet den Rat des Rebben annahm, antwortete er: ,Die Rabbiner, mit denen ich davor gesprochen hatte, waren anders als der Rebbe. Der eine erzählte mir über die herrliche Vergangenheit des jüdischen Volkes und über den Verlust dieser; der andere hingegen redete mit mir über die Zukunft meiner Kinder. Doch der Rebbe sprach über die Gegenwart – über das Glück und die Gelegenheit, welche mir hier und jetzt in die Hände gefallen sind. Diese Worte gaben mir Kraft und Mut, die richtige Entscheidung zu treffen!‘ Rabbi Gershovitz fuhr fort: „Diese Geschichte erzählte ich dem Mann im Park. Sie hatte ihn sehr mitgerissen. Nach einem merkwürdigen Schweigen, näherte er sich mir und fragte leise: ,Hat Dich jemand hierhergeschickt?‘ Ich verneinte. Da sagte er: ,Ich befinde mich in genau demselben Dilemma und weiß nicht, was ich tun soll. Aber nun, dank den Worten des Lubawitscher Rebben, werde ich sie für immer verlassen!‘ Ich blieb mit dem Mann in Kontakt. Er verließ sie tatsächlich, und schon ein Jahr später heiratete er eine jüdische Frau.“ Diese Geschichte erzählte Rabbi Gershovitz im Prager Chabad-Zentrum inmitten der Feiertagsmahlzeit zu Rosch Haschana. Dort befand sich auch ein junger Israeli.
Auch er lernte eine Nichtjüdin kennen; Christine hieß sie. Während seines Aufenthalts in Prag versuchte man ihn mehrmals zu überzeugen, sie zu verlassen, aber er wollte nicht hören. Doch nachdem Rabbi Gershovitz seine Erzählung beendete, sah man an dem jungen Mann, dass er in ernsthaften Gedanken vertieft war. Beim Morgengebet wurde aus der Thora rezitiert, wie Avraham bereit war, seinen Sohn Itzchak für G-tt zu opfern. Danach trat der junge Israeli vor Rabbi Gershovitz und sprach mit zitternder Stimme: „Heute bringe ich ein Opfer für G-tt!“ Als er die Verwunderung des Rabbis sah, erklärte er erregt: „Ich verlasse Christine!“ Sein Gesicht war von Tränen überlaufen...
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