In der Kabbala wird der Ursprung der Schöpfung untersucht. Dort wird G-tt Ein Sof genannt, was ‚Das Wesen, das „kein Ende“ hat’, bedeutet. Im Schöpfungsakt machte G-tt etwas Endliches aus dem Unendlichen. Wie kam es dazu?
In einigen kabbalistischen Texten wird eine allmähliche Kontraktion der G-ttlichen Kraft, die in diese endliche Welt strömte, beschrieben, die schließlich zu einer totalen Verhüllung in dieser Welt führte. In der Kabbala des Arisal wird jedoch eine andere Sichtweise beschrieben: Demnach gab es einen Quantensprung zwischen Unendlichem und Endlichem, den er Tzimtzum (Kontraktion) nennt.
Im Etz Chaim von Rabbiner Chaim Vital befindet sich eine strukturelle Darstellung dieses Prozesses. Die Kraft des Unendlichen Wesens (Ein Sof) wird Or Ein Sof (das Licht des Ein Sof) genannt. Da physisches Licht oft als himmlisch und unbegreifbar wahrgenommen wird, und da Licht Leben und Wärme gibt, wird es oft in der Kabbala als eine Metapher für G-ttliche Kraft benutzt.
In den ersten Stufen der Offenbarung war die gängige Manifestation das unendliche Licht. Im Licht des Unendlichen (Or Ein Sof) war unterschwellig die Möglichkeit für Endlichkeit enthalten. Sie war aber zuerst nicht von der Manifestation des Lichtes des Unendlichen (Or Ein Sof) unterscheidbar. Um Schöpfung zu ermöglichen war es nötig, dieses unendliche Licht irgendwie zu verdecken, um so ein Vakuum zu schaffen, in dem das Endliche Licht offenbart werden konnte. Man kann dies mit einem Sonnenstrahl vergleichen. In der Sonne hat der einzelne Sonnenstrahl keine eigene Identität, da er ganz und gar in der Sonne aufgeht. Man kann ihn nur als unabhängig erkennen, wenn er aus der Sonne hervorgeht.
Um diesen Punkt näher zu erklären kann man eine Parallele aus dem Bereich der Lehre heranziehen. Man stelle sich vor, dass Albert Einstein in eine Grundschule geht und aufgefordert wird, einer Schulklasse Rechnen beizubringen. Damit ein solches Genie mit den Kindern sprechen kann, muss er die Theorien und Komplexitäten der weiterführenden Mathematik beiseite lassen und sich auf einfache Addition konzentrieren. Mit der Zeit wird das Kind, das er unterrichtete, Mathematik im Gymnasium und dann sogar an der Universität als Unterrichtsfach haben. Der ehemalige Schüler wird vielleicht sogar selbst ein Mathematikprofessor werden. Er könnte sogar besser als Einstein werden. In den ersten Stufen dieser Entwicklung war jedoch das Endresultat verborgen. Dasselbe gilt auch für Tzimtzum – G-tt hat absichtlich das Unendliche zurückgezogen, um Platz für das Endliche zu schaffen.
Dieses Zurückziehen des Lichtes des Unendlichen (Or Ein Sof) wird vom Arisal Tzimtzum HaRischon genannt. Diese erste Kontraktion (Tzimtzum) war die grundlegendste, da sie den Quantensprung darstellt, der Platz schuf, um Endlichkeit hervorscheinen zu lassen. Es soll hier betont werden, dass dieses Zurückziehen des Lichts des Unendlichen (Or Ein Sof) sich nicht auf Atzmut selbst ausgewirkt hat, da Atzmut das Wesen G-ttes ist, welches alles - auch einschließlich evtl. Veränderungen - übertrifft. Dies meinte der Prophet Malachi mit seiner Aussage: “Ich, G-tt, habe mich nicht verändert“. G-tt bleibt derselbe, er wird nicht durch die Schöpfung verändert. Er bleibt ganz und gar unberührt von Veränderungen in seiner Schöpfung. Alle Veränderungen fanden in einer Erscheinungsform offenbarter Kraft, d.h. in dem Licht des Unendlichen (Or Ein Sof), statt.
In der Chassidischen Literatur wird erklärt, dass nach der Kontraktion (Tzimtzum) die „Buchstaben des Rückstandes“ (Reschimu) zurückblieben. Im Sohar steht geschrieben: „Er gravierte Buchstaben in die himmlische Reinheit ein“ (d.h. in das Licht des Unendlichen Wesens, Or Ein Sof). Das heißt als G-tt die Welt erschaffen wollte, hat er „in Sich Selbst abgemessen, was tatsächlich existieren würde“. Im Sohar wird dieses Abmessen „Buchstaben eingravieren“ genannt. Diese Buchstaben stellen die Strukturierung und Bildung des G-ttlichen Willens vor der Kontraktion (Tzimtzum) dar. Sie sind das Potential zur Begrenzung, das innerhalb des Lichts des Unendlichen (Or Ein Sof) bestand.
Um dies anders zu erklären, kann man sagen, dass es eine Art von maßgeblicher Sprache geben musste, um die Endlichkeit konkret zu bestimmen. Dieses Bestimmen wird „Buchstaben“ genannt. Buchstaben sind die Bausteine von Worten, die wiederum Sätze bilden können. Aus diesen Sätzen entsteht eine Sprache, mit der man sich verständigen kann. In der Kabbala werden diese Buchstaben „Behälter (Kelim)“ genannt. Die Bedeutung der Worte wird „Licht (Orot)“ genannt. Jeder Satz wird aus den Buchstaben, als dem Behälter der Bedeutung des Satzes, und der Mitteilung, die Licht (Or) genannt wird, zusammengesetzt. Die Offenbarung der Behälter, die in Abstraktion schon vor der Kontraktion existierten, wurde durch Kontraktion (Tzimtzum) realisiert. Diese „Buchstaben“ waren vor der Kontraktion (Tzimtzum) mit Licht des Unendlichen (Or Ein Sof) angefüllt. Sie stellten daher nur die Möglichkeit der Endlichkeit dar. Der Sinn und Zweck der Kontraktion (Tzimtzum) war es, das Licht des Unendlichen Wesens (Or Ein Sof) zurückzuziehen, um Begrenzung und Endlichkeit entstehen zu lassen.
Um Vielfalt in der Schöpfung entstehen zu lassen, war es nötig, verschiedene Eigenschaften im G-ttlichen zu enthüllen. Diese „Eigenschaften“ werden Sefirot genannt. Sie sind die Bausteine der Schöpfung. Jede Sefira (Eigenschaft) ist aus Lichtern und Gefäßen zusammengesetzt. Es soll hier betont werden, dass die Existenz der Sefirot keinesfalls bedeutet, dass es Vielfalt im G-ttlichen gibt. Die Sefirot sind nicht getrennte Entitäten im Licht des Unendlichen (Or Ein Sof). In der Sefer Yetzira wird dies so erläutert:
„Die zehn Sefirot sind bli ma (ohne Substanz). Ihr Ende ist in ihren Anfang, und ihr Anfang ist in ihr Ende keilförmig eingeschlossen. Dies ist mit einer Flamme an einem Stück Kohle vergleichbar. Denn G-tt ist Einer, und es gibt keinen zweiten von Ihm“. Dieselbe Metapher wird im Sohar verwendet: „Der Heilige, gelobt sei Er, gibt zehn Kronen von sich. Es sind himmlische, heilige Kronen, mit denen Er sich krönt. Er ist sie, und sie sind Er, so wie die Flamme an einem Stück Kohle. Dort gibt es keine Abgrenzung.“ |
Chassidut vergleicht die Sefirot, wie sie vor der Kontraktion (Tzimtzum) waren, mit dem Potential des Funkens eines Feuersteins. Selbst wenn der Stein in Wasser eingetaucht worden ist, gibt es immer noch die Möglichkeit, den Stein zu schlagen und ihm einen Funken zu entlocken. Man kann nicht behaupten, dass der Funke eine eigenständige Identität innerhalb des Steines habe. Wenn die Eigenschaften (Sefirot) im Stadium nach der Kontraktion (Tzimtzum) erscheinen, dann sind sie tatsächlich wie Flammen an einem Stück Kohle. Die Flamme hat tatsächlich eine eigene Existenz, aber sie ist ganz und gar mit dem Stück Kohle verbunden.
Um bildlich darzustellen, was nach der ersten Kontraktion (Tzimtzum) geschah, präsentiert Rabbiner Chaim Vittal die folgende Vorstellung: Man stelle sich einen Kreis vor, der ganz und gar mit dem Licht des Unendlichen Wesens (Or Ein Sof) angefüllt ist. Innerhalb dieses Kreises kann kein endliches Wesen geschaffen werden, da das Licht des Unendlichen ihn ganz und gar abdeckt. Die Kontraktion (Tzimtzum) verhüllte das Licht des Unendlichen (Or Ein Sof), so dass innerhalb des Kreises eine Leere entstand, innerhalb derer etwas Endliches erschaffen werden kann. Der nächste Schritt in der Schöpfung war, dass ein Lichtstrahl aus der Zeit vor der Kontraktion (Tzimtzum) in den Kreis eingeführt wurde. Dieser Lichtstrahl wird Kav genannt. In diesem Licht waren alle Voraussetzungen für die Schöpfung der verschiedenen Welten enthalten. Der Unterschied zwischen einem Kreis und einem Lichtstrahl ist, dass der Kreis keinen Anfang und kein Ende hat. An der Kreislinie kann man sich ad inifinitum entlangbewegen. Der Kreis repräsentiert das Unendliche Licht des Sovev Kol Almin (Licht, das alle Welten umgibt). Chassidut nennt es ein Or Makkif (transzendierendes Licht). Es soll hier betont werden, dass das Wort Makkif, das „peripher“ bedeutet, nicht andeuten soll, dass dieses Licht nicht innerhalb des Kreises existiert. Vielmehr ist es innerhalb des Kreises verhüllt, denn das Licht des Unendlichen (Or Ein Sof) füllt den Kreis sogar nach der Kontraktion (Tzimtzum) nur im Verborgenen. Das Kav hingegen ist eine Linie, die einen Anfang und ein Ende hat. Das Kav repräsentiert die Kette der Welten im Stadium nach der Kontraktion (Tzimtzum), in dem es höhere und niedrigere Welten gibt. Dies ist mit den Stufen einer Leiter vergleichbar. In den höheren Welten ist das Licht sehr intensiv und G-ttes Gegenwart ist ganz offensichtlich. Mit dem Fortschritt des Kav-Lichtes wird das Licht reduziert und G-ttes Gegenwart wird mehr in den Behältern verborgen. Im Mittelpunkt des Kreises befindet sich diese Welt. Dies ist die niedrigste Stelle der Kav-Linie, an der das Licht ganz und gar in der stofflichen Schöpfung verborgen ist.
Die vier Welten
Hebräisch |
Deutsch |
Atzilut |
Ausstrahlung |
Beria |
Schöpfung |
Yetzira |
Formation |
Assiya |
Tat/Aktion |
Zur Erläuterung kann man sich einen Balken vorstellen, der in einen Kreis eintritt und dann konzentrische Kreise – wie die Schichten einer Zwiebel - erzeugt. In unserem Fall sind die Schichten Welten. Es gibt vier Welten. Sie heißen: Atzilut (Ausstrahlung), Beria (Schöpfung), Yetzira (Formation) und Assiya (Tat). Wenn das Kav in den Kreis eintritt, oder in unserer Analogie, die erste Schicht der Zwiebel erreicht, ist die erste Stufe die Welt der Ausstrahlung (Atzilut). Beria, Yetzira und Assiya, die unsere Welt sind, folgen Atzilut und gehen tiefer und tiefer ins Zentrum. Das Licht des Kav ist das Licht des Memale Kol Almin (Licht, das die Welt erfüllt). Dieses Licht ist ein inneres Licht (Or Pnimi), im Gegensatz zu Sovev Kol Almin (Licht, das alle Welten umgibt), das ein Or Makkif (transzendierendes Licht) ist.
In der oben angeführten Metapher musste Einstein die Quantentheorie beiseite lassen, um den Schülern Rechnen beizubringen. Der Sinn dieses Vorgangs war die Offenbarung der mathematischen Grundlagen, damit die Schüler später die höhere Mathematik verstehen können. Dasselbe gilt für die Kontraktion (Tzimtzum). Der Zweck des Tzitzum war nicht nur Verhüllung in dieser Welt, sondern auch Offenbarung, d.h. eine Erniedrigung zum Zwecke der Erhöhung. Durch Tzimtzum wurde die endliche Welt erschaffen. Diese Welt mit all ihren Begrenzungen kann nicht das offenbarte Unendliche Licht umfassen, aber es kann es im verhüllten Zustand enthalten. Die Tora und Mitzwot können mit Kleidung verglichen werden, die das Unendliche Licht (Or Ein Sof) bedeckt. In dieser Welt könnte man das Unendliche Licht des Stadiums vor der Kontraktion (Tzimtzum) in der Tora und den Mitzwot offenbaren. Damit würde der Sinn der Schöpfung erfüllt, der darin besteht, eine Wohnstätte für G-tt in dieser niedrigsten aller Welten zu schaffen.
Im Bezug auf die Menschheitsgeschichte wird die Offenbarung dieses Lichtes in Stadien erfolgen. Jetzt ist die G-ttliche Gegenwart (Schechina) verborgen, aber mit der geschichtlichen Weiterentwicklung in die Messianische Ära hinein wird es eine größere Offenbarung des Lichtes vor der Kontraktion (Tzimtzum) geben. In der Zeit der Auferstehung der Toten wird dies noch mehr der Fall sein. Es soll auch angemerkt werden, dass unsere Taten und das Halten der Gebote (Mitzwot) im Exil die Offenbarungen in der Messianischen Ära und die Auferstehung der Toten beschleunigen werden. Das Exil ist äußerlich eine Folge von Sünde. Innerlich ist der wahre Grund des Exils, „Selbstaufopferung“ (Mesirat Nefesch) für das Halten der Gebote (Mitzwot) hervorzubringen. Sie fungiert als eine Regung von unten, die eine Reaktion von oben, d.h. Lohn in der Messianischen Ära, hervorruft.
In der Kabbala werden die verschiedenen Namen G-ttes erklärt. Man darf nicht die vier Buchstaben des Tetragrammatons, Y H V H, aussprechen wie sie geschrieben werden, da dieser Name heilig ist. Deshalb wird in den folgenden Abschnitten von Havaye gesprochen werden, um das Tetragrammaton zu bezeichnen. Der Name Havaye ist aus drei Namen zusammengesetzt: Haya – Er war, Hoveh – Er ist, und Yihye – Er wird sein. Dieser Name beschreibt das Licht, das alle Welten umgibt (Sovev Kol Almin). (In einem späteren Kapitel wird der Name Havaye in einem anderen Kontext, d.h. so wie er mit den vier Welten in Zusammenhang steht, besprochen werden). Der Name G-ttes, der das Licht, welches die Welt erfüllt (Memale Kol Almin) beschreibt, ist Elokim. Der Zahlenwert des Wortes Elokim ist derselbe wie der des Wortes „Natur“ (Hateva). Damit wird G-ttes Gegenwart in der Schöpfung angedeutet. In der Kabbala wird die „Vereinigung“ (Yichud) von Havaye und Elokim besprochen. In der Tora steht: „Wisse heute, dass Havaye Elokim ist“. Chassidut nennt dies die Vereinigung des Lichts, das alle Welten umgibt (Sovev Kol Almin), mit dem Licht, das die Welt erfüllt (Memale Kol Almin), d.h. G-tt wird sowohl als transzendent, als auch als immanent betrachtet.
Jetzt können wir erklären, warum G-tt zuerst das Unendliche Licht preisgab, und warum er erst dann das Endliche Licht durch den Prozess der Kontraktion (Tzimtzum) offenbarte. Der Sinn der Schöpfung ist Dira BeTachtonim (eine Wohnstatt für G-tt in der niederen Welt zu schaffen). Um diesen Zweck zu erfüllen, waren zwei Dinge nötig: Die Schöpfung der niederen Welt und die Fähigkeit der niederen Welt, innerhalb des G-ttlichen absorbiert zu werden. Zuerst hat G-tt das Unendliche Licht (Or Ein Sof) offenbart, d.h. das transzendierende Licht des Sovev Kol Almin. Durch Tzimtzum (Kontraktion) wurde Memale Kol Almin (das Licht, das die Welt erfüllt) offenbart. Da dieses letztere Licht von einem Licht der Zeit vor der Kontraktion (Tzimtzum) stammt, hat es immer einen Drang und die Fähigkeit, in seiner Wurzel aufzugehen. Um es auf einen einfachen Nenner zu bringen, G-tt will, dass der Mensch in dieser Welt lebt und gleichzeitig über ihr schwebt. In der Welt sein ist Memale Kol Almin, während das Über-der-Welt-Schweben durch Sovev Kol Almin repräsentiert wird. In den weltlichen Aktivitäten wie zum Beispiel im Geschäftsleben, im Essen und so weiter, soll man „G-tt in allen seinen Wegen“ kennen. In geistigen Aktivitäten wie im Beten oder Toralernen, steht man über der Schöpfung. Der Sinn der Schöpfung ist die Vereinigung der beiden Seiten. Dies kann nur durch eine totale „Nullifikation“ (Bittul) gegenüber Atzmut (G-tt Selbst in Erfüllung Seines Schöpfungswillens) erreicht werden.
Schöpfungsmodalitäten
Kav (Balken) der Schöpfung |
Schöpfungskreis |
Memale Kol Almin (das Licht, das alle Welten erfüllt) |
Sovev Kol Almin (das Licht, das alle Welten umgibt) |
Or Pnimi (Inneres Licht) |
Or Makkif (Transzendierendes Licht) |
Elokim (Immanenter Name G-ttes) |
Havaye (Transzendenter Name G-ttes) |
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