Wir werden nun die verschiedenen Stadien der Kettenordnung der Schöpfung untersuchen, die durchlaufen wurden, nachdem Tzimzum das Vakuum geschaffen hatte, in dem endliche Kreation entstehen konnte. Um diese Stadien zu beschreiben, werden wir die folgende Analogie verwenden.

Man stelle sich vor, dass ein Ehepaar ein ideales Haus für sich und seine Familie bauen möchte. Die Idee kam aus heiterem Himmel. Blitzartig hatten sie ein Bild eines palastartigen Hauses mit Garten und Schwimmbad vor Augen. Das Ehepaar setzte sich sofort hin, um im Detail die Form und Größe jedes Zimmers zu besprechen. Nachdem sie diese Ideen geistig entwickelt hatten, hätten sie alles leicht am nächsten Tag vergessen können. Das Paar muss nun einen Architekten und einen Bauingenieur beauftragen, die Idee aufs Papier zu bringen. Wenn die Pläne fertig sind, muss das Ehepaar die praktische Seite dieses Planes angehen, indem sie ein Stück Land kaufen, eine Baugenehmigung beantragen, die Finanzierung des Projektes regeln, und dann die Errichtung des Haus beaufsichtigen. Nur nach monatelanger Arbeit wird das Haus fertiggestellt und das Ehepaar in ihr Traumhaus einziehen können.
Man kann in diesem Projekt vier Stadien erkennen:

1) Die ursprüngliche Idee (Konzept)
2) Die Ausweitung des Konzeptes (Das Konzept im Detail entwickeln)
3) Gefühlsmäßige Involvierung und den Bauplan tatsächlich zeichnen (lassen)
4) Praktische Aspekte (Bau-Durchführung).

ATZILUT

In der Kabbala wird erklärt, dass die Schöpfung der Welt auch in diesen vier Stadien vollzogen wurde. Das erste Stadium war das übergreifende Konzept, in dem sich die Sefirot darstellen. Diese Stufe wird die Welt des Atzilut genannt. Das Wort Atzilut kommt von dem hebräischen Wort Aitzel, das „daneben“ oder „ausgehend von“ bedeutet. Diese Welt kommt direkt nach der Tzimtzum (Kontraktion) des Or Ein Sof (Unendlichen Lichtes). Als endliche Geschöpfe durch die Tzimtzum möglich geworden waren, konnten sich verschiedene Eigenschaften G-ttes abzeichnen. Die Tora verwendet verschiedene hebräische Namen für G-tt. Dies sind tatsächlich Namen, die die verschiedenen Sefirot (G-ttliche Erscheinungsformen) beschreiben. Zum Beispiel beschreibt der Name El G-ttlichkeit, die in der Sefira Chessed (Liebenswürdigkeit) offenbar wird. Elokim beschreibt G-ttlichkeit, die sich in der Sefira Gewura manifestiert, und so weiter.

Die Welt des Atzilut ist immer noch im Bereich des Unendlichen, und alle Sefirot in der Welt des Atzilut sind unendlich. Die Neuerung der Welt des Atzilut ist die Abgrenzung der Eigenschaften. Jede kann eigenständig identifiziert werden. Vorher waren sie durch das Or Ein Sof total verborgen, obwohl es die Möglichkeit schon gab, sie als eigenständige Wesenszüge zu erschaffen. In der Welt des Atzilut kann nur das G-ttliche wahrgenommen werden. Da gibt es noch keine unabhängige Existenz.

Jede der vier Stufen der Schöpfung entspricht einer der vier Buchstaben im Tetragrammaton, G-ttes vierbuchstabigem Namen Hawaye. Die Welt des Atzilut entspricht dem Buchstaben Yud. Dieser Buchstabe sieht wie ein Punkt aus und ist der kleinste Buchstabe, von dem alle anderen Buchstaben entwickelt werden. Es ist der wesentliche Punkt, von dem aus alle weitere Existenz entwickelt werden kann. Wie schon in Kapitel 13 Sefirot erklärt, entspricht der Buchstabe Yud auch der Sefira Chochma. Obwohl alle zehn Sefirot in jeder Welt vorhanden sind, herrscht eine Sefira (oder eine Gruppe von Sefirot) auf jeder Stufe vor. Die vorherrschende Sefira in der Welt des Atzilut ist Chochma. Die Welt des Atzilut entspricht dem offenbarten Potential weiterer Schöpfung.

BERIA

Auf der nächsten Stufe wird das ursprüngliche Konzept ausgearbeitet, und Pläne für die Schöpfung werden weiterentwickelt. Im Geist hat das Gebäude unabhängige Existenz angenommen. Etwas wurde erschaffen, wenn auch nur theoretisch. Diese Welt wird die Welt der Beria (Schöpfung) genannt. Das Wort „Schöpfung“ bedeutet immer, dass etwas (yesch) aus nichts (ayin) erschaffen wird. In Beria wird das ursprüngliche Konzept des Atzilut ausgebreitet und vertieft. Der Buchstabe Hey entspricht der Sefira Bina, die die vorherrschende Sefira in Beria ist. Bina entwickelt das ursprüngliche Konzept von Chochma und entwickelt es ausführlich.

In der Welt der Beria wird aus den ursprünglichen Erscheinungsformen der Sefirot von Atzilut eine Existenz geschaffen, die anfängt, eigenständig zu sein. Während in der Welt des Atzilut totale „Nichtigkeit“ vorherrscht, kann nicht unabhängig existieren. Das G-ttliche wird auch in Beria gespürt, aber anders als in Atzilut gibt es etwas ausserhalb G-ttes, das Ihn fühlt, während es immer noch total null und nichtig ist. Deshalb wir die Welt der Beria der G-ttliche Thron genannt – Kisei HaKawod. Im Grunde genommen ist ein Thron ein Stuhl, auf den sich ein Mensch hinunter begibt. Gleichfalls begibt sich G-tt auf den G-ttlichen Thron, um mit den Welten in Kontakt zu kommen. Dieses Herunterbegeben findet in der Welt der Beria statt.

In Beria werden auch die Seelen und die höchsten Engel erschaffen. Malachim (Engel) sind keine weißgeflügelten Wesen, die am Himmel schweben. Wir können sie uns vielmehr als Leitungen G-ttlicher Energie vorstellen. Sie fungieren als Vertreter, durch die Energien auf diese Welt fliessen. Die Engel in der Welt der Beria werden Sepharim vom hebräischen Wort Seraipha (Feuer) genannt. Diese Engel sind so mit Gefühl durchdrungen, dass sie „verbrennen“. Dies sollte man nicht wörtlich auffassen. Die Engel sind G-tt so nah, dass sie nicht die Intensität aushalten können. Sie ist dauernd geistig ekstatisch. Die Welt der Beria ist auch der Platz des oberen Garten Edens, der eine Wohnstätte für Seelen darstellt, die es sich durch ihre Anstrengungen in dieser Welt verdient haben, diese erhabene Welt betreten zu dürfen.

YETZIRA

Die nächste Stufe ist die Welt der Yetzira (Formation). In dieser Welt werden endlich Pläne für die tatsächliche Schöpfung ausgearbeitet werden. Die vorherrschenden Sefirot in dieser Welt sind die sechs gefühlsmäßigen Sefirot Chessed bis Yesod. Sie entsprechen dem Buchstaben Waw im Namen Hawaye (der numerische Wert von Waw ist sechs). In dieser Welt wird eine gefühlsmäßige Verbundenheit mit dem Projekt entwickelt. Es nimmt nun ein eigenes Momentum an. Das Projekt ist nicht nur ein Konzept, sondern konkrete Schritte werden nun unternommen, um die Idee zu verwirklichen.

Hier existiert der untere Garten Eden, die Wohnstätte für Seelen, die es sich verdient haben, in seinem G-tlichen Licht zu baden. Dies ist die Welt der Engel, die Chayot HaKodesch (heilige Wesen) genannt werden. Die Engel in dieser Welt sind sehr emotional und preisen G-tt lautstark. Sie werden nach den Sefirot benannt. Zum Beispiel entspricht der Engel Michael der Sefira (G-ttlichen Erscheinungsform) Chessed, Gabriel entspricht Gewura und Raphael entspricht Tiferet usw. Wenn wir Keduscha in der Wiederholung der Amida sagen, sagen wir Kadosch (heilig) dreimal. Das ist im Bezug auf die Engel von Beria, Yetzira und Assiya, die G-tt alle auf verschiedene Weise huldigen.

Esekiel’s Weissagung fand statt, als er die Welt der Yetzira durch meditative Techniken betrat. Da er seine Erlebnisse seinem Volk mitteilen wollte, musste er die menschliche Sprache verwenden, um metaphysische Phänomene zu beschreiben. In der Welt der Yetzira beschreibt er die Engel als Kreaturen. Unter ihm waren die Ophanim, die Engel der Welt der Assiya (Tat). Der Thron der Welt der Beria war über ihm. Auf dem Thron saß die Form eines Mannes, der die Sefirotische Reihe in der Welt des Atzilut (Ausströmung) beschrieb. Esekiel’s detaillierte Beschreibung steht in starkem Kontrast zu der Jesaia’s. In der Kabbala wird erklärt, dass Esekiel die Welt der Yetzira und Jesaia die Welt der Beria erlebte. Da G-ttlichkeit in der Welt der Beria deutlicher manifest war ist seine Beschreibung weniger detailliert.

ASSIYA

Schließlich ist die letzte Welt die Welt der Tat Assiya, wo die Schöpfung verwirklicht wird. Der G-ttliche Schöpfungsfluss der Welt der Yetzira fließt durch die Engel in die Schöpfung der vier Reiche (Mineralien, Vegetation, tierische und menschliche Reiche) hinunter. Die vorherrschende Sefira in der Welt der Assiya ist Malchut. Die Eigenschaft von Malchut entspricht dem Buchstaben Hey und deutet auf Herrschen hin, d.h. auf die Idee eines fernen Königs, der über willige Untertanen herrscht. Assiya ist die Welt, wo die Schöpfung ganz unabhängig wird. Auf dieser Welt akzeptieren die Untertanen jedoch auch G-tt als ihren König.

Die Welt der Assiya ist etwas widersprüchlich. Der Meisterschöpfer, der ein hervorragender Künstler ist, hat eine wunderschöne und vielfältige Schöpfung erschaffen. Es ist eine Schöpfung, die G-tt allein erschaffen hat, aber G-tt ist versteckt, so dass Seine Geschöpfe sich nicht über ihren Schöpfer bewusst sind. Es ist irgendwie möglich in dieser Welt, die Gegenwart G-ttes ganz und gar zu leugnen, da Er total verborgen ist. Durch diese totale Verborgenheit kann diese Welt eine Welt des freien Willens sein, wo die Menschen sich aussuchen können, ob sie dienen oder ignorieren wollen. Es ist auch eine Welt der Herausforderung, wo die Hand G-ttes manchmal offenkundig und manchmal versteckt ist. Diese Welt ist der letztendliche Sinn und Zweck der Schöpfung. G-tt möchte, dass seine Geschöpfe Ihm eine Wohnstätte schaffen. Dies wird durch Tora und das Einhalten der Mitzwot (Gebote) bewerkstelligt. In der Tora hat G-tt uns die Wahrheit über die Schöpfung mitgeteilt und einen Weg geschaffen, auf dem sich die Menschen durch die Windungen des alltäglichen Lebens hindurchlotsen können. Man kann diese innere Ruhe dadurch erlangen, indem man sich mit G-tt durch seine Mitzwot verbindet.

In den höheren Welten ist das G-ttliche Licht manifest. Tatsächlich sind sie nur Erscheinungsformen der G-ttlichen Schöpfungsfähigkeit; es sind nur Sonnenstrahlen. In dieser Welt, wo man jedoch das Licht nicht wahrnehmen kann, das in den höheren Welten erscheint, kann man wirklich das Atzmut (Wesen G-ttes) wertschätzen. In dieser Welt nehmen wir uns als getrennt und verschieden vom Fluss der G-ttlichkeit wahr. Dieses Gefühl der Getrenntheit ermöglicht es uns, das Wesen G-ttes stärker wahrzunehmen. Ironischerweise gibt es ein Aussichtspunkt für den Beobachter in dieser Welt. In den höheren Welten wird man etwas durch die Giluyim (Strahlen des G-ttlichen Lichtes) geblendet. Je höher wir bis zum tieferen oder höheren Garten Eden hinaufsteigen, umso erhabener ist die Offenbarung und umso stärker werden wir daher geblendet. Von der Erde aus können wir jedoch die Sonne viel mehr wertschätzen. Bei ‚Sonnenfinsternis’ dieses G-ttlichen Lichtes kann der Beobachter mit Atzmut tatsächlich in Kontakt kommen. Obwohl G-tt unerreichbar und unverständlich erscheint, kann man jedoch die Schöpfung betrachten und sich darüber klar machen, dass dies alles nur das Werk G-ttes sein kann. Dieses Konzept wird in Kapitel 18 „Der Sinn der Schöpfung“ weiterentwickelt.


Tetra-
grammaton

Welt

Sefira

Baumeister

Yud

Atzlut
(Ausströmung)

Chochma
(Weisheit)

Ursprüngliche Inspiration

Hey

Beria
(Schöpfung)

Bina
(Verständnis)

Ausbreitung des Konzepts

Waw

Yetzira
(Formation)

Chessed
(Liebenswürdigkeit)
bis Yesod
(Fundament)

Gefühlsmäßige Involvierung in Pläne

Hey

Assiya
(Tat)

Malchut
(Königtum)

Verwirklichung des Projektes