Einer der bemerkenswertesten biblischen Träume ist Jakob’s Traum mit der Leiter. Jakob ist gerade dabei, sein Exil von seiner Familie und von seinem Land zu beginnen. Er wird bald in die Welt seines korrupten Onkels Laban eintreten. Bevor er das Land Israel verlässt, ruht er sich auf dem zukünftigen Tempelberg aus. Dies ist auch der Ort, wo sein Vater Isaak von Abraham geopfert werden sollte. Jakob schläft ein und träumt von einer Leiter, auf der Engel hinauf- und herabsteigen. Diese Szene wird in den klassischen Kommentaren so interpretiert, dass die Engel, die Jakob im Land Israel begleiteten, ihn verließen und aufstiegen, und die Engel, die ihn auf seinen Reisen begleiten würden, herabstiegen. Kabbalistisch gesehen repräsentiert diese „Leiter“, sulam in hebräisch, die Leiter der Welten, die Seder Hischtalschalut. Sie stellt die Verbindung zwischen G-tt und dem Himmlischen mit unserer stofflichen Welt dar. Auf dieser „Leiter“ kann man hinauf- und herabsteigen. Der Sinn des Aufsteigens ist es, eine weitere Perspektive, d.h. den Blick von oben, zu erlangen. Der Sinn des Abstiegs ist es, unseren Schöpfungsauftrag zu erfüllen. Tatsächlich sind beide sehr wichtig. Nur wenn man die Leiter der Schöpfung hinaufsteigt, nimmt man die Wahrheit tatsächlich wahr. Dies ermöglicht eine schärfere und konzentriertere Perspektive, wenn man sich wieder in weltliche Bereiche hinein begibt.

Dieser Auf- und Abstieg wird herkömmlicher Weise Gebet genannt. Im grundlegendsten Sinne ist das Gebet dazu da, sich G-tt zuzuwenden und um seine Bedürfniserfüllung zu bitten. In kabbalistischer Hinsicht ist das Gebet dazu da, seine Seele mit ihrem Ursprung zu verbinden, und die krasse Natur seiner niedrigen Triebe und Leidenschaften zu verfeinern und zu erhöhen. Diese zwei Ziele gehen Hand in Hand. Durch die Erhöhung und Verbindung kann man seinen Charakter verfeinern, da man ein besseres Verständnis des Sinnes der Schöpfung erhält. Daher schrieben die Kabbalisten, dass das Wissen um diese kettenartige Reihenfolge der Schöpfung eine bedeutsame Mitzwa ist. Es bringt den Menschen dazu, G-tt kennen zu lernen, Ihn zu lieben und Ehrfurcht vor Ihm zu haben. Tatsächlich haben sterbliche Wesen keine Vorstellung von G-tt. Mit dem Begriff der „Kenntnis G-ttes“ wird gemeint, dass man von der Schechina Kenntnis hat, ihr gegenüber sensibel ist und Ihre Gegenwart ganz und gar in alle Bereiche menschlicher Erfahrung integriert.

Deshalb beten wir jeden Tag: Der Mensch steht am Scheideweg der Schöpfung. Sein Körper wurde aus Erde geformt, obgleich G-tt ihm seine Seele eingehaucht hat. Der Mensch verkörpert Himmel und Erde und bewegt sich tagtäglichen zwischen diesen beiden Polen. Manchmal erlangt er geistige Höhenflüge und ist vom Irdischen unberührt. Und zu anderen Zeiten ist er ganz und gar im materialistischen Sumpf versunken. Wie behält er ein gesundes menschliches - G-ttliches Gleichgewicht? Die mystische Antwort auf diese Frage zeigt eine ganz andere und neue Perspektive auf.

In der Kabbala wird erklärt, dass diese Fusion im Reaktor des Gebets stattfindet. Während man auf der Leiter des Gebets von einer Ebene zur nächsten hinaufsteigt und die „Höheren Welten“ besucht, ist der Blick von oben hinreißend. Die materielle Welt dort unten ist fast ein Witz. Sie ist unbedeutend und erbärmlich im mächtigen G-ttlichen Licht der höheren Welten. Am Gipfel der Meditation erlebt die Seele eine geistige Ekstase, die so gewaltig ist, dass die Seele vergehen und ihren irdischen Behälter verlassen möchte.

Dann, am Höhepunkt der Flucht, steht sie vor dem Allmächtigen und löst sie sich in Ehrfurcht auf. Alles Ego und Selbst wird vertrieben. Das durchdringende Gefühl ist nur Atzmut. Auf dieser Ebene fühlt man, dass der Sinn der Schöpfung darin besteht, dass die G-ttliche Seele herabsteigt durch die Welten, von einem irdischen Körper umhüllt wird und in tagtäglicher Routine versinkt. Im Judentum ist die Tat die wichtigste Sache. Der Mystriker ist nicht der Asket, der in den Wolken schwebt, sondern er versteht, dass die gründliche Kenntnis der höheren Sphären zu einer stärkeren Involvierung in dieser Welt führt. Man kann vor allem in der „tiefsten aller Welten“ eine Wohnstätte für das G-ttliche herstellen. G-tt möchte eine Wohnstätte in dieser Welt haben. Dies wird durch das Herabsteigen der Seele erreicht, wo sie irdische Dunkelheit zu geistigem Licht, und damit das Bittere zu etwas Süßem verwandelt.

Somit können wir nun verstehen, warum die Kabbala die Leitung des Himmels anatomisch darlegt. Man wird gegenüber der Schechina sensibilisiert, wenn man diese kettenartige Reihenfolge studiert und darüber meditiert. Zudem wird man sich seines eigenen Sinnes sowie des der ganzen Schöpfung bewusst.