Wenn ein Mädchen in Europa heiratete, gaben ihre Eltern ihr eine Mitgift, die ihren Verhältnissen entsprach. Da das junge Paar das Geld nicht immer sofort brauchte, gab man es oft einem angesehenen, wohlhabenden Gemeindemitglied, der es sicher aufbewahrte und nach Bedarf zurückgab. Als Rabbi Jaakow Berlins Tochter heiratete, vertraute ihr Vater die große Mitgift einem prominenten Juden aus Sluzk an, einem Mann von vorzüglichem Charakter und Ruf.

Die Zeit verging. Eines Tages ging das Gerücht um, der Jude in Sluzk mache schwere Zeiten durch. Er habe sein ganzes Geld verloren und sei fast bankrott. Rabbi Jaakow von Mir fürchtete um die Mitgift seiner Tochter.

Die Familie beriet darüber, was zu tun sei. Man beschloss, dass Rabbi Jaakow nach Sluzk fahren und selbst nach der Mitgift sehen sollte.

Der Rabbi reiste ab. Eine Woche später kehrte er zurück und wurde von der Familie begrüßt. Alle waren neugierig darauf, was er erlebt hatte. Rabbi Jaakow bat alle, sich zu setzen, und berichtete:

“Kaum war ich in Sluzk, erkundigte ich mich genau, wie es unserem Treuhänder gehe. Ich erfuhr, dass er in der Tat alles verloren hat. Darum traute ich mich nicht, zu ihm zu gehen und ihn um mein Geld zu bitten. Denn die Torah lehrt uns: ,Sei nicht wie ein Wucherer’, das heißt, bedränge deinen Schuldner nicht. Ich beschloss, das Geld zu vergessen, und habe ihn nicht einmal aufgesucht. Ich hoffe, ihr versteht, warum ich ohne das Geld gekommen bin.”