Frage?

Gibt es im Judentum ein Leben nach dem Tod? Warum erwähnt es die Tora nicht? Gibt es außer dieser Welt keine andere?

Antwort!

Genauso ist es: Selbst wenn es außer dieser Welt noch eine oder mehrere andere gibt, haben wir nur in dieser Welt die Gelegenheit dazu, durch unsere Taten bedeutungsvolle Veränderungen zu bewirken. Wenn die Seelen der in die andere Welt gegangenen Menschen mit dieser Welt zu kommunizieren, ist ihre häufigste Bitte, dass für sie Kaddisch gesagt, Zedaka gegeben oder eine Mizwa in ihrem Namen ausgeführt wird. Nur in dieser materiellen Welt, die das wahre Ziel nicht offen zeigt, können wir uns frei entscheiden, ob wir das tun, was uns G-tt „empfahl“ oder das, wohin die Welt uns zieht.

Die Tora spricht nicht viel vom „Leben nach dem Leben“. Bei den Propheten finden wir Angaben über das Weiterleben der Seele, selbst nachdem der Körper begaben ist, wie z.B. als König Schaul dem Propheten Samuel, der damals schon „das Zeitliche gesegnet hatte“, eine dringende Frage stellen wollte (Samuel 1 Kapitel 28). Das Buch Daniel spricht von der Auferstehung der Toten (Daniel 12:2). Die Fünf Bücher Mose „begnügen“ sich damit, für gewisse Vergehen eine Strafe „Karet“ zu benennen, die keine physische Todesstrafe ist, aber die Seele vom ewigen Leben trennt. Das Erste Buch Mose beschreibt den Garten Eden, in dem die von uns gegangenen Seelen im Idealfall ruhen.

Darüber hinaus finden wir einen Hinweis, dass der Mensch am Ende für seine Taten gerichtet wird, - wenn nicht in dieser Welt, dann eben in einer anderen - wie z.B. in der Geschichte von Kain und Abel. Beide bringen G-tt ein Opfer dar. G-tt nimmt Abels Opfer an und weist Kains Opfer zurück. Kain wird neidisch und ermordet Abel. Aber in einem Vers sagt die Tora, dass G-tt mit Abels Opfer zufrieden ist, im nächsten Vers ist er tot und Kain, mit dessen Opfer G-tt nicht glücklich war, läuft „seelenruhig“ weiter. Wo ist denn da die Gerechtigkeit?

Die Tora bestätigt es: Diese Welt ist nicht immer fair. Doch in Wirklichkeit Trügt oft der Schein. „Olam“ (Welt), kommt von der Wurzel „Heelem“(Verbergen), was uns lehrt, dass diese Welt mehr versteckt, als sie uns offenbart. Wenn wir in dieser Welt keine Gerechtigkeit erleben, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt, - aber wir sehen eben nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit.

Doch wenn die verborgene Welt so wichtig ist, warum wird sie in der Tora nicht ausdrücklicher erwähnt? - Weil die Tora für diese Welt bestimmt ist und nicht für die nächste. Nur in dieser Welt hat die Ausführung der Gebote der Tora Bedeutung, denn nur in dieser Welt stoßen wir auf Widerstand. Wo kein Widerstand vorhanden ist, gibt es hier auf Erden kein Vorankommen. Während andere Religionsformen empfehlen, Spiritualität dadurch zu erreichen, indem wir uns von dieser Welt fernhalten, wie z.B. nicht heiraten, auf materiellen Besitz verzichten, lehrt uns die Tora, unseren Anteil an der kommenden Welt dadurch zu „verdienen“, dass wir die Bestandteile dieser Welt, gemäss ihren Anweisungen, benutzen.

Es kam ein Mönch nach 120 Jahren vors Jüngste Gericht und sagte: „Ich habe die letzten 60 Jahre meines Lebens im Kloster verbracht und dort niemanden angeschrieen, niemanden bestohlen, niemanden beleidigt. Findet ihr nicht auch, dass ich gute Arbeit geleistet habe?“ Im Jüngsten Gericht bekam er zur Antwort: „Aber du bist ein zorniger Mensch geblieben. Der Grund, warum du nie jemanden angeschrieen hast, liegt im Mangel an Gelegenheit in deinem weltabgeschnittenen Kloster, wo Du nie die Notwendigkeit dazu verspürt hast. Der Grund, warum du nicht gestohlen hast, lag in der täglichen Befriedigung all deiner physischen Bedürfnisse, um die du dich nicht sorgen musstest. Hättest du aber Frau und Kinder ernähren müssen, wer sagt, dass du dann nicht hier und da „die Ecken abrunden“ würdest?“ Wenn alle physischen Bedürfnisse gedeckt sind, ist es leicht, ehrlich oder sogar großzügig zu sein. Doch der wahre Charakter zeigt sich, wenn diese Bedürfnisse bedroht werden. G-tt hat uns in diese materielle Welt gesetzt, damit wir uns - der Spiritualität widersprechend - „mit ihr herumschlagen“ und Seine Gebote trotzdem halten. Nur durch mühsames Schleifen kommt der Diamant zum Vorschein. Nur durch die „Reibungen“ mit den Problemen der materiellen Wirklichkeit veredeln wir unsere Charakterzüge.

Was passiert aber, wenn den Leuten eine wunderschöne „künftige Welt“ versprochen wird, wenn sie sich „schön artig“ benehmen? Es stellt sich heraus, dass viele Leute es vorziehen, das „Bare“, nämlich (auch nicht ganz koschere) Vergnügen dieser Welt zu bevorzugen, als auf einen „auf lange Zeit hinausgeschobenen Scheck“ (die künftige Welt) zu hoffen. Wenn jemand nur wegen der Belohnung „anständig“ ist, wird er sehr schnell wieder „unanständig“, wenn ihm jemand mehr bietet.

Daher beschäftigt sich die Tora nicht damit, dem Menschen das Gute, das er am Ende bekommt, zu beschreiben. Die Tora konzentriert sich vielmehr darauf, dem Menschen mitzuteilen, was er tun soll, um die auf Erden zu verbringenden Jahre sinnvoll zu gestalten. Das hindert uns aber nicht daran, an ein Leben nach dem Tod zu glauben, denn sonst gäbe es keine Gerechtigkeit. Kain ist kein gutes Beispiel dafür, weil er nach dem Vorfall etwas tat, das zwar auch nicht gesetzlich war, aber vor G-tt immer als ein willkommener Akt angesehen wird: Tschuwa (das aufrichtige Bereuen der schlechten Tat) (vgl. Genesis 4:13), weshalb ihn G-tt weiterleben ließ. Doch kennen wir hoffentlich keine persönlichen Beispiele von Leuten, die viel Unrechtes taten, und bis ins hohe Alter ein scheinbar „beneidenswertes“ Leben führten. Die Frage ist nur, ob ihr Leben außerhalb dieser Scheinwelt immer noch so „beneidenswert“ aussah.

G-tt wünscht sich keine „dressierten Zweibeiner“, die sich um eine Belohnung bemühen, sondern Ihm sind Menschen viel lieber, die das Gute tun wollen, weil es das einzig Richtige ist.