Die Seele wird im Buch Hiob als „Teil G-ttes beschrieben (Tanja, Kapitel 2). Sie besteht sowohl vor ihrem Abstieg in den Körper als auch nach ihrem Aufstieg vom Körper. Die G-ttliche Seele bedarf keiner Verbesserung. Sie geht vielmehr auf diese Welt hinunter, um die selbstsüchtige und animalische Natur dieser körperlichen Welt zu verbessern.

Vor dem Abstieg in diese Welt wird die Nefesch Elokit auf eine himmlische Besichtigungstour geführt, wo sie sowohl die verschiedenen Abteilungen im himmlischen Garten Eden als auch die Gehinom (Hölle) besichtigt. Es wird ihr eingeschärft, dass sie sich auf eine gefährliche Reise voller Ablenkungen und Verlockungen begibt. Die Seele muss schwören, dass sie gerecht bleiben wird und sich immer als verbesserungsbedürftig betrachten soll, selbst wenn andere sie von ihrem Perfektsein überzeugen wollen. Die Seele wird mit all der geistigen Nahrung, die sie auf ihrer Reise braucht, und mit genug spiritueller Energie versorgt, um die Nefesch HaBehamit und ihren Anteil an dieser Welt zu erheben.

Bei der Geburt eines Menschen, wird die Nefesch Elokit der Nefesch HaBehamit gegenüber gestellt. Beide drücken sich im denkenden Geist aus. Die beiden Seelen sind während ihrer Lebenszeit zusammengeschlossen und versuchen beide, die Übermacht über den denkenden Geist zu gewinnen. Wenn ein Mensch stirbt, dann verwest die Nefesch HaBehamit mit dem Körper im Grab, während die Nefesch Elokit zu ihrem Schöpfer zurückkehrt. Die Seele tritt vor das Himmlische Gericht und wird beurteilt. Jede Mitzwa bildet einen Verteidigungsengel, und jede Missetat bildet einen Anklage-Engel. Diese Engel legen über den Menschen Zeugnis ab. Jeder Gedanke, jedes gesprochene Wort und jede Tat wird angeschaut und berücksichtigt. Im Talmud werden die Fragen aufgezählt, die eine Seele gefragt wird, wenn sie beim Himmlischen Gericht erscheint, wie zum Beispiel: “Warst du in deinen Geschäftsbeziehungen ehrlich?“, „Hast du feste Zeiten für dein Tora-Studium eingehalten?“ und „Hast du dich mit der Fortpflanzung beschäftigt?“.

Wenn die Seele von Missetaten gereinigt werden muss, dann wird sie zur Gehinom, einem himmlischen Reinigungslager, geschickt. Die Mussar-Schriften beschreiben Gehinom als einen grausamen Ort, wo dem Sünder furchtbare Strafen zuteil werden. Die Stärke der Strafe hängt vom Grad der Sünde ab. Man muss sich vergegenwärtigen, dass Gehinom weder ein physischer Ort noch ein Ort der Ewigkeit ist. Gehinom ist ein zeitlich begrenzter – jedoch furchtbarer – Ort, wo die Seele gereinigt wird. Tatsächlich bleiben die meisten Seelen in der Gehinom nicht länger als zwölf Monate.

Da die Sünden der meisten Menschen nicht so extrem sind, um ein zwölfmonatiges Urteil, welches den Bösewichten vorbehalten ist, zu rechtfertigen, sagen wir Kaddisch. Das erhöht die Seele und lindert die Schmerzen in der Gehinom. Kaddisch sagen wir über eine dahingeschiedene Seele elf Monate lang, und danach nur am Jahrzeit (Todestag). Am Schabbat erleben alle Seelen eine Erhöhung. Die in der Hölle befindlichen Seelen bekommen an diesem Tag Schmerzlinderungen, während die Seelen in der Welt der Jetzira zur Welt der Beria durch die Amud (das ist die Säule, welche die beiden Welten von Jetzira und Beria verbindet) erhoben werden. Nach der Reinigung in der Gehinom kommt die Seele zur Zukünftigen Welt, also in den Garten Eden, wo sie den Lohn erhält, den sie sich durch ihre Arbeit in dieser Welt verdient hat.

Im Talmud werden Mesiwta D’Rkia (Himmlische Akademien), wo Seelen sitzen und Tora lernen, beschrieben. Im Talmud steht: “Glücklich ist der Mann, der die Zukünftige Welt mit dem Talmud in der Hand betritt“. Was man in dieser Welt gelernt hat, wird in der nächsten Welt wieder gelernt, allerdings auf einer viel höheren Ebene. Wie im Kapitel über das Tora-Studium beschrieben wird (siehe Kapitel 24: „Tora-Studium“), gibt es Pardes (viele Ebenen des Tora-Studiums). Sie entsprechen den vier Welten. Die Tora, die man in dieser Welt auf der Ebene des Pschat (einfache Interpretation) gelernt hat, wird man auf der Ebene der Remes (Andeutung), Drusch (Predigt) und Sod (Geheimnisse) lernen dürfen. Manchmal dürfen Seelen neue Tora-Interpretationen von höheren Seelen hören. Der vorherige Lubawitscher Rebbe bemerkte, dass an der Jahrzeit eines Tzaddik (Gerechten) alle anderen Seelen kommen, um einen Toravortrag von ihm zu hören.

Es muss verdeutlicht werden, dass die Offenbarungen, die eine gerechte Seele in der Zukünftigen Welt erlebt, in direktem Verhältnis zu ihren Anstrengungen in dieser Welt stehen. Das ist mit einem Marktplatz vergleichbar. Während des Markttreibens können wir kaufen, verkaufen und unsere geschäftlichen Beziehungen pflegen. Wird der Markt geschlossen, gehen wir mit dem erzielten Profit heim; weitere Profiterzielung ist je vorbei. Unsere Welt ist ein solcher Marktplatz, auf dem wir langfristige Investitionen durch die Ausführung von Mitzwot machen können. Wenn die Seele diese Welt verlassen hat, dann wird sie nur für die guten Taten belohnt werden, die sie auf dieser Welt vollbracht hat, - und nicht mehr.

Die Seelen, die ihren Platz im Garten Eden erlangt haben, bleiben bis zur Auferstehung der Toten, zur Zeit des Messias, in ihrer himmlischen Wohnstätte. Wenn der Messias kommt, werden alle Seelen wieder zu dieser Welt hinabsteigen, um in ihren auferstandenen Körpern zu wohnen.

Eine Seele kann wiedergeboren werden, vgl. ff. Kapitel. (Eine tiefergehende Übersicht über die klassischen Quellenmaterialien zur Auferstehung kann man im Buch To Live and Live Again, SIE Verlag, 1995, finden)

Es soll hier angemerkt werden, dass es unter den Weisen unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was der Talmud mit dem Begriff der Zukünftigen Welt meint. Maimonides schreibt, dass sich dieser Begriff auf die Welt der Seelen bezieht, welche die Seele nach dem Tod betritt, um ihren Lohn zu erhalten. Nachmanides und die Kabbalisten lehren, dass sich der talmudische Begriff der Zukünftigen Welt auf die Zeit der Auferstehung bezieht. Alle sind sich jedoch einig, dass die Welt der Seelen und die Auferstehung zwei unterschiedliche Zustände sind. Die eigentliche Frage ist aber: „Welche Welt stellt den größten Lohn dar?“

Maimonides lehrt, dass die Welt der Seelen den größten Lohn darstellt. Er führt aus, dass die Menschen sogar nach der Auferstehung sterben und ihre Seelen zur Zukünftigen Welt gehen werden. Die Kabbalisten stimmen dem nicht zu, sondern sagen, dass der letztendliche Lohn während der Zeit der Auferstehung gegeben werden wird. Diese Ansicht bedarf jedoch der Erläuterung, da die Seele doch wohl mehr Freude empfindet, wenn sie vom Körper und dinglichen Dasein befreit ist, oder?

In den chassidischen Schriften werden die Sichtweise des Nachmanides und der Kabbalisten erklärt: Die Seele erlebt in der himmlischen Wohnstätte eine Offenbarung der G-ttlichkeit, wie sie in den höheren Sphären offenbar ist. Solch eine Offenbarung ist auf die geistigen Ebenen dieser Welten beschränkt. Wenn die Seele aber in dieser Welt ist, die nicht gegenüber den Offenbarungen der höheren Welten aufgeschlossen ist, dann ist sie gegenüber den Offenbarungen des Atzmut (Wesens G-ttes) aufnahmefähig. Nur Atzmut kann für alle materiellen und spirituellen Grenzen transzendent sein und kann sogar in der körperlichen Welt offenbart werden. Doch das erfahren wir in der Zeit der Auferstehung. Denn dann werden Seelen, die Tausende Jahre lang im Garten Eden gewohnt und vielleicht erstaunliche Erhebungen erlebt haben, auf diese Erde hinabsteigen, da sie gerade auf dieser Welt die höchste Ebene erreichen können, nämlich die der tatsächlichen Dira Betachtonim (G-ttliche Wohnstätte auf dieser Welt).

Somit ist die Erschaffung der Dira BeTachtonim ein Entwicklungsprozess. In der Menschheitsgeschichte hat es verschiedene Stadien der G-ttlichen Offenbarung auf dieser Welt gegeben. Während der Zeiten des Tabernakels und des Tempels war G-ttlichkeit offenbar. Dagegen war G-ttlichkeit während der Zeiten der Churban (Zerstörung) verborgen. Wir bewegen uns auf das messianische Zeitalter zu, wo es eine vollkommene Offenbarung der G-ttlichkeit innerhalb der Welt gibt. Der letztendliche Sinn der Schöpfung wird dann offenbart werden. Nach der Ankunft des Messias wird die Auferstehung der Toten stattfinden, wo alle Seelen in den himmlischen Sphären einschließlich die der Gerechten zu ihrer körperlichen Existenz zurückkehren.