Siehe, ich gebe euch heute einen Segen und einen Fluch ... (Deut. 11:26).
Wenn die Tora erklärt, G-tt sei die Quelle des Segens und des Fluches, können wir daraus schließen, dass wir uns nicht beklagen, sondern jedes Leid annehmen sollen, weil es von G-tt kommt. Wenn wir tiefer blicken, ermöglicht die Tora uns ein klareres Verständnis vom Leiden: Alle Dinge – Segen und Fluch – kommen von G-tt und sind daher positiv. Der Segen ist offenbarte Güte, der Fluch ist für uns eine Gelegenheit, Böses in Gutes zu verwandeln.
Die Zeit nach dem Tod des Rebbe Dow Ber, des Maggid von Mesritsch, war schrecklich für die Juden. Nachdem die Regierung sie lange Zeit ignoriert hatte, erließ sie nun viele antisemitische Dekrete. Zu allem Überfluss suchten mehrere Seuchen und Naturkatastrophen die Gemeinden heim.
Damals hatte einer der bedeutendsten Schüler des Maggids einen Traum, in dem ihm sein verstorbener Lehrer erschien. Der Schüler bat seinen Meister, ihm einen scheinbaren Widerspruch zu erklären: Zadikim (rechtschaffene Menschen) sollen nach ihrem Tod mehr Macht über die Natur haben als zu ihren Lebzeiten. Warum traten dann nach dem Tod des Rebbe all die Katastrophen ein, die seine Gebete verhindert hatten, als er noch lebte?
Rabbi Dow Ber erklärte: „Als ich in deiner Welt lebte, betrachtete ich das Böse als negativ und bat G-tt, uns zu retten. Und meine Gebete wurden oft erhört. Jetzt lebe ich in der Welt der Wahrheit, und aus meinem Blickwinkel erkenne ich die Weisheit des G-ttlichen und sehe, dass alles, was G-tt der Welt auferlegt, sogar das scheinbar Negative, in Wahrheit Teil des g-ttlichen Planes und daher letztlich gut ist.
Ihr hingegen, die ihr noch lebt und das Leiden der Menschen für ungerecht haltet, ihr betet zu G-tt, damit er euch vom Leid verschont.“
Ich verstehe diese alte chassidische Geschichte so: G-tt ist gut und wünscht seiner Schöpfung das Beste. Genau das würden wir auch wünschen, wenn wir in einer spirituellen Welt lebten. Aber aus unserem Blickwinkel ist das Böse eben böse, das Leid tut weh, und deshalb betrachten wir es als unsere Aufgabe, Leidenden zu helfen, Schmerzen zu lindern und G-tt anzuflehen, seine Welt weniger leiden zu lassen.
Wenn wir diesen scheinbaren Widerspruch akzeptieren, wenn wir die Schläge einstecken, ohne die Hoffnung zu verlieren, und wenn wir auf eine bessere Welt hinarbeiten, sehen wir dass alles, was wir empfangen, ein Geschenk des Himmels ist.
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