In der Tora sind Namen nichts Zufälliges, sondern an vielen Stellen können wir sehen, dass der Name einer Person oder einer Sache etwas über ihr Wesen aussagt. Dasselbe gilt für die Namen der Sidrot (Wochenabschnitte); denn auch diese sind, sozusagen, Schlüssel zu ihrem jeweiligen Inhalt, obwohl sie, rein äußerlich und scheinbar "zufällig", von den ersten Worten jeder Sidra herstammen. In Wirklichkeit ist nichts "zufällig", da alles unter dem Einfluss G-ttlicher Fügung steht; ganz vorzüglich trifft dies auf die Tora zu.

Es sieht aus, als beruhten die Namen der Sidrot auf einer verhältnismäßig späten Übereinkunft, denn wir Sind nicht ganz sicher, dass sie im Talmud Erwähnung finden (s. Talmud, Megilla 29b und 31a, und Sota 40b). Dem gegenüber sind im Talmud jedoch die Bücher der Bibel und die Einteilung der Mischna tatsächlich aufgeführt (Baba Batra 14b und passim). Das jüdische Recht kennt aber das Prinzip, dass ein in einem Dokument vorkommender Name vom Tora-Gesetz anerkannt wird, wenn gegen den Namen 30 Tage lang kein Einspruch erhoben worden ist (Baba Batra 167b und Schulchan Aruch, basierend darauf). Nachdem die Namen der Sidrot viel länger – weit über 1000 Jahre – unangefochten beibehalten worden sind und von den Weisen erwähnt werden (zum Beispiel bei Raschi zu Genesis 47, 2, Exodus 19, 11 und 25, 7 u.a.), sind sie also als solche von der Tora anerkannt.

Dies führt uns zur dieswöchigen Sidra, Lech Lecha, und zu einer Untersuchung dessen, was durch diesen Namen angezeigt ist. "Lech Lecha" wird gewöhnlich übersetzt mit: "Gehe fort für dich. (Aus dem Lande usw.)" Die wörtliche Bedeutung aber ist: "Gehe zu dir hin." In der Tora hat der Begriff von "Gehen" die Bedeutung, dass man sich auf den Weg zu wahren Lebensziel macht, zum Dienst an seinem Schöpfer. "Gehe zu dir hin" hat somit den Gehalt (nach Alschich, Anfang unserer Sidra), dass man zu seinem inneren und eigenen Wesen vordringt, zu seiner Seele.

Das denn war die Aufgabe, die Abraham anfänglich gestellt wurde, und der erste Teil unseres Wochenabschnittes entspricht dem auch: Es war ein Fortschritt und Aufstieg zur Heiligkeit. Dann aber kommt ein Rückschlag, denn Hungersnot bricht aus, und Abraham zieht nach Ägypten (Genesis 12, 10). Dass dies ein Rückschlag war, steht außer Zweifel; schon rein äußerlich ist es durch den Ausdruck "er zog hinunter" angezeigt. Auch die Ursache hierfür – Hungersnot im Lande – war ein Zeichen dafür, dass G-ttes Segnung sich plötzlich verhüllte. Ist es nicht seltsam, dass Abraham, als er das ihm von G-tt gezeigte Land erreichte, es bald darauf wieder verlassen musste? Und dabei blieb es nicht einmal, denn als er nach Ägypten kam, nahm Pharao ihm seine Frau Sara mit Gewalt weg. Jedoch lässt sich eine Lösung dieser Schwierigkeiten finden, wenn wir uns die Wahrheit eines berühmten Ausspruches vor Augen halten, der so lautet: "Die Taten der Väter sind ein Zeichen für die Kinder." Das heißt nicht einfach, dass das Geschick der Väter sich in den Schicksalen der Kinder spiegelt, sondern dass das, was die Väter tun, Anlass für das ist, was mit den Kindern sein wird (Midrasch, Bereschit Rabbe 40). So denn deutet Abrahams Reise nach Ägypten das dereinstige ägyptische Exil seiner Kinder im Voraus an. Und danach heißt es (Genesis 13, 1): "Abraham zog wieder hinauf von Ägypten"; damit ist die zukünftige Befreiung der Israeliten vorgedeutet. Sogar das eigentliche Verdienst, auf dem diese Befreiung fußte, geht auf Sara zurück; es war, dass die israelitischen Frauen sich weigerten, sich sündhaft mit den ägyptischen Männern einzulassen, genauso wie Sara den Lockungen Pharaos widerstanden hatte.

Es war in der Tat der wesentliche Zweck des ägyptischen Exils, dass durch die Anwesenheit der Israeliten sich gerade dort, in jenem verrufenen Lande, G-ttes Gegenwart manifestieren sollte. So war es ein wichtiges Merkmal des anfänglichen Niederganges, dass darin der schließliche Aufstieg impliziert war.