In der Woche vor Schabbat Lech Lecha "leben" wir (gleichsam) jeden Tag zusammen mit unserem Vater Abraham, der als erster die Schleusen von "Messirat Nefesch" (selbstloser Hingabe) geöffnet hat. Diesen Charakterzug hat er dann allen Juden in allen Zeitaltern als ein Vermächtnis hinterlassen. Auch zum Judentum Übergetretene haben einen Anteil an diesem Erbgut, weil auch sie mit Abraham verwandt sind; sie werden "Kinder Abrahams" genannt. Isaak und Jakob stehen in einem verwandtschaftlichen Verhältnis nur zu ihren direkten Nachkommen, Abraham dagegen ist auch mit allen Bekehrten verwandt.
Wenn daher – wie gesagt – Abraham die Charaktereigenschaft von "Messirat Nefesch" an alle Juden vermacht hat, dann schließt dies eben auch die zum Judentum Übergetretenen ein; sie müssen gleichfalls die Tora und die Gebote mit voller Kraft und Energie einhalten, selbst wenn dies nur durch den Einsatz von "Messirat Nefesch" erfolgen kann.
Die nächste Woche, also diejenige nach Lech Lecha, ist ihrerseits eine von Freude und Frohsinn geprägte, spricht doch der folgende Wochenabschnitt – Wajera – über Abraham zu einer Zeit, nachdem er die außerordentlich bedeutsame Vorschrift der Beschneidung erfült hat. Der frühere Lubawitscher Rebbe s. A. hat einmal erklärt, dass Abraham schon als Siebzigjähriger ein "Besitzer" war, absoluter Herrscher über sein Verhalten, begabt mit "Weisheit, die über alle Fassungskraft herausragt". Im Alter von 70 Jahren war dies immerhin schon der Fall, bevor Lech Lecha sich ereignet hatte, also bevor er die Aufforderung zum "Weitergehen", zum "Fortschreiten" erhielt, somit lange vor dem Beschneidungsakt. Man kann sich daher leicht vorstellen, wie sublimiert erst Abrahams geistige Stellung nach dem späteren Vollzug der Beschneidung gewesen sein muss.
Diese Vorschrift von Beschneidung steht in direkter Beziehung zur Geburt. Was immer Abraham auch vollbracht hatte, bevor er die Beschneidung durchführen musste, entsprang allein aus der Natur und dem Wesen des geschaffenen Menschen; und so konnte er all dies aufgrund seiner eigenen (geistigen) Stärke erzielen. Das Gebot der Beschneidung dagegen war etwas, das von außerhalb – von "oben" – kam. Das ist die Erklärung für die Auffassung, dass Abrahams Beschneidung eine Widerspiegelung der "höheren Beschneidung" ist, wie diese in der Textstelle zum Ausdruck kommt: "Und der Ewige, dein G-tt, beschneidet dein Herz."
Diese Idee lässt sich verallgemeinern: Durch den Beschneidungsakt deckt man die erhabensten Ausstrahlungen bloß, die insgesamt die Schöpfung und ihren natürlichen Fortschritt übersteigen. Genau in diesem Sinne ist zu verstehen, dass die Beschneidung eine Beziehung zur Geburt hat, denn die Geburt ist, schon nach ihrer Definition, etwas Neues und Ungewöhnliches, eine physische Kundgebung des Unendlichen.
Und so denn folgt ganz zwingend, dass die Woche von Wajera (wie auch die Wochen der weiteren Tora-Abschnitte) unter den Vorzeichen von Freude und Frohsinn stehen muss. Hier ergibt sich eine Analogie zu Simchat Tora, dem höchsten Freudenfest des Jahres, bei dem schließlich alle Charaktermerkmale des bedeutenden Monats Tischrei ihre Erfüllung und Zusammenfassung finden; und von Simchat Tora geht dies voran und in das ganze folgende Jahr hinein. So auch ist Wajera eine Zusammenfassung und Erfüllung dessen, das sich im Leben Abrahams vorher ereignet hatte.
G-tt gab Abraham dies zu verstehen: Wahre jüdische Freude kann nur von einem Kinde gewonnen werden, dessen Geburt an sich – und dessen ganzes weiteres Leben nach der Geburt – unter den Vorzeichen von G-ttlichkeit steht, einem Kinde, das sich bei frühester Gelegenheit, nämlich im Alter von acht Tagen, an G-tt "anschließt"; damit (mit der Beschneidung also) wird ein "ewiger Bund" geschlossen, obwohl in diesem Alter das Kind nichts begreifen und zu nichts seine Zustimmung geben kann. Hier denn ist die religiöse Verpflichtung überhaupt nicht auf Vernunft aufgebaut, sondern lediglich auf "Messirat Nefesch", völliger, unbeschränkter, unqualifizierbarer Hingabe.
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