Ein von den geistigen Führern von Lubawitsch aufgestellter Lehrsatz hat weite Verbreitung gefunden; er lautet: Schabbat Bereschit (also der Schabbat, an dem die erste Sidra, Bereschit, vorgetragen wird) hat Auswirkungen auf das ganze Jahr, und "Klang und Färbung" dieses Schabbats finden das Jahr hindurch ihren Niederschlag.
Dieser Grundsatz scheint einer näheren Erläuterung zu bedürfen, denn die Frage ergibt sich sofort: Warum sollte gerade dieser Schabbat diese besondere Dynamik besitzen? Warum sollte, zum Beispiel, ähnliches nicht für Schawuot gelten, den Tag der Offenbarung der Tora? Oder wären in der Tat alle Wochenabschnitte, in denen erst- und einmalig gewisse Gebote enthalten sind, nicht ebenso erheblich für das ganze Jahr? Worauf gründet sich die Ausnahmestellung von Schabbat Bereschit?
Die Antwort ergibt sich aus folgendem Gedankengang:
Im ersten Vers der Tora tritt der Begriff von "Erschaffen" (hebr. "Bara") auf, nämlich so: "Im Anfang erschuf (bara) G-tt Himmel und Erde", und das bedeutet: Erschaffen aus dem Nichts. Darin nun ist impliziert, dass der Schöpfungsakt notwendigerweise ein andauernder und anhaltender Vorgang ist, der sich in jeden Augenblick immer wieder ereignet. Es bedeutet daher, dass die Einzigartigkeit der "Sechs Tage der Schöpfung" – das ist der revolutionäre Wechsel aus dem ursprünglichen Nichts-Zustand in eine materielle Welt – etwas ist, das in jeden Augenblick seine Fortsetzung findet: Zu allen Zeiten gibt es ein Neu-Erstehen.
In eben diesem Sinne wird der Psalmvers (Psalm 119, 89) "Auf ewig, o Ewiger, besteht Dein Wort im Himmel" erklärt (Tanja, II. Teil, Kap. 3), nämlich so: Genau genommen ist jedes Geschöpf, sogar jetzt, sogar heute, ein absolutes Nichts, und dass es existiert, ist nur deshalb möglich, weil G-tt fortlaufend Ursache und Anlass für sein Existieren ist. Daraus folgt, dass G-tt allein das eigentlich Existierende ist.
Auf dieser Grundlage lässt sich verstehen, warum gerade Schabbat Bereschit sich auf das ganze Jahr auswirkt. Denn die Erkenntnis der wesentlichen und schließlichen Bedeutung des Verses "Im Anfang erschuf G-tt" ist das eigentliche Fundament für den Dienst, den der Mensch G-tt das Jahr hindurch zu leisten hat.
Der Jude hat – wie wir schon öfters ausgeführt haben – die Pflicht, seine alltäglichen, weltlichen Belange in Mittel und Instrumente für das G-ttliche umzuformen – eine Aufgabe, die er als eine sehr schwere, fast unmögliche ansehen mag, weil sie der natürlichen Ordnung scheinbar zuwiderläuft. In Wirklichkeit aber gilt der rezitierte Pslamenvers: "Auf ewig, o Ewiger, besteht Dein Wort im Himmel." Das heißt, dass es letzten Endes keine in sich unabhängige Welt gibt, sondern alles besteht allein aufgrund der Zehn Aussprüche, mit denen die Welt geschaffen worden ist (siehe "Sprüche der Väter" 5, 1). Wie der Sohar dies weiterführt (Sohar II, 161a): "Der Heilige, gelobt sei Er, schaute in die Tora (nämlich eben die Zehn Aussprüche), und Er schuf die Welt."
Wenn man stets daran denkt und weiß, dass die Existenz und Realität der Welt absolut von den Zehn Aussprüchen in der Tora abhängig ist, dann versteht man, dass die Welt niemals ein Hindernis für die Beobachtung der Mizwot sein kann. Denn dieselbe Tora, in der die Zehn Aussprüche stehen, enthält ja auch alle 613 Mizwot.
Wenn der Mensch folglich die Tora als die eigentliche Realität der Welt anerkennt, dann sieht er sich auch motiviert, Aussprüche unserer Weisen, einen Psalm, einen Mischna sogar dann zu rezitieren, wenn er auf der Straße geht oder seine tägliche Arbeit verrichtet. Jede gute Tat, die er ausübt, wird die Waage für die ganze Welt zur Seite von Verdienst und Weiterbestand kippen (siehe Talmud, Kidduschin 40b). Mit anderen Worten: Wie ein Mensch die innere Botschaft des Verses "Im Anfang erschuf G-tt" betrachtet und anerkennt, ist von bestimmender Auswirkung auf die Gesamtheit der Schöpfung, die Gesamtheit von "Himmel und Erde und all ihrer Scharen".
Dieses Prinzip also, dass der Schabbat Bereschit das ganze Jahr "färbt", bedeutet damit, dass dieser Schabbat alle Dinge und Angelegenheiten berührt, seien diese nun geistiger oder materieller Natur.
Diskutieren Sie mit