"Und G-tt sprach: Es werde Licht; und es ward Licht " (Genesis 1, 3). Dies war der erste der Aussprüche, mit denen G-tt die Welt erschuf, und das Licht war das erste von allem Geschaffenen. Weshalb aber sollte dies so sein? Dem Lichte wohnt doch kein eigener, unabhängiger Wert inne, vielmehr hängt sein Nutzen von Dingen ab, die erst durch es erleuchtet oder anderweitig von ihm berührt und betroffen werden. Daher ist die Frage zu stellen: Warum wurde das Licht zuerst geschaffen, während noch nicht sonst exitierte?

Man kann darauf nicht einfach antworten, dass dies eine Vorbereitung war für Dinge, die später kommen würden. Denn wenn dem so wäre, dann hätte das Licht vernünftigenweise kurz vor den Tieren (die zwischen Hell und Dunkel unterscheiden können) oder frühestens kurz vor den Pflanzen (deren Wachstum durch das Licht gefördert wird) geschaffen werden sollen, am dritten Schöpfungstage.

Unsere Weisen erklärten (Talmud Chagiga 12a), dass das am ersten Tage geschaffene Licht "für die Gerechten der zukünftigen Welt verborgen" (aufbewahrt) blieb. Darin liegt ein Paradoxon. Denn nachdem es Zweck und Aufgabe des Lichtes ist, etwas zu erhellen; wieso muss es dann sofort nach seiner Erschaffung verborgen werden – womit sein eigentlicher Zweck wieder in Abrede gestellt würde? Und obwohl unsere Weisen den Grund für dieses Verstecken des Lichtes angeben, warum G-tt, der dies doch vorausbestimmte, es auf jeden Fall als Allererstes schuf.

Diese Schwierigkeiten lassen sich lösen, wenn wir den Midrasch (Anfang von Bereschit Rabba) zu Rate ziehen, in dem es heißt: "Ebenso wie ein König der einen Palast bauen will, dies nicht unvermittelt tut, sondern erst die Pläne eines Architekten studiert, so schaute G-tt in die Tora und erschuf die Welt." – Das besagt in anderen Worten, dass wir etwas über G-ttes Prioritäten und Reihenfolge bei der Schöpfung lernen können, indem wir das ordentliche Verfahren eines Menschen beobachten, der etwas planmäßig und mit Vorbedacht machen will.

Als Erstes wird er sich klar über den Zweck, den dieses Werk anstrebt, und erst danach fängt er mit der Arbeit an. Dies war gleichsam auch G-ttes Methode; und für Ihn bestand der Zweck der Welt (hebr. "Olam", verwandt mit "Elam" = verborgen) – in der das G-ttliche Licht unter der dicken Hülle der materiellen Existenz verborgen sein werde – darin, dass diese Welt geläutert und das unverfälschte Licht G-ttes wieder hergestellt werden sollten. Im Endeffekt strebte Er für sich eine "Wohnstätte in der niedrigen Welt" an, das heißt, dass Seine Verborgenheit (Dunkelheit) in eine offenbarte Allgegenwart (Licht) umgeformt werden würde.

Nachdem somit das Licht der eigentliche Zweck der Schöpfung war – und nachdem, wie wir sahen, es der Zweck ist, der als erstes bei der Herstellung eines Werkes in Betracht zu ziehen ist –, wurde das Licht, folgerichtig am ersten Schöpfungstage gemacht. Die planmäßige Absicht, die allen später geschaffenen Dingen unterlag, ist in der Eingangsaussage enthalten: "Es werde Licht."

Außerdem gibt es einen inneren Hinweise (eine Anspielung) auf das Licht an jedem der folgenden Schöpfungstage; denn jeder Tag wird abgeschlossen mit der Erklärung: "Und G-tt sah. dass es gut war." Das Wort "gut" selbst aber ist eine Anspielung auf das Licht, wie es heißt (Genesis 1, 4): "Und G-tt sah das Licht, dass es gut war." Daraus lässt sich folgern, dass an jedem Schöpfungstage das Licht zugegen war; wenn auch nicht direkt, war es dennoch impliziert, und es wurde indirekt wahrgenommen. Denn jeder Zweck zeigt sich auf zwei Weisen: sowohl ausdrücklich am Anfang der Arbeit wie auch stillschweigend einbegriffen in jeder Etappe des Arbeitsvorganges.