Die Sidra Bereschit, der erste Wochenabschnitt des Jahres; berichtet u. a. über die Erschaffung Adams, des ersten Menschen. Obwohl ihm von G-tt anbefohlen worden war, die Frucht vom Baume der Erkenntnis nicht zu genießen, konnte Adam der Versuchung nicht Herr werden sondern aß die Frucht – eine Handlung, die sich für ihn selbst und alle nachfolgenden Generationen ungeahnt schädlich auswirken sollte.

Wenn man die midraschischen Darlegungen zu diesem Vorfall studiert, so erhellt daraus eine sehr bemerkenswerte Einzelheit hinsichtlich der Sünde Adams: Das Dekret, die Frucht nicht zu genießen, sollte nur bis zum Beginn des Schabbat gültig sein; danach sollte es erlaubt sein (Bereschit Rabba 21, 7; Schach's Kommentar zur Tora; Likute Tora, Anfang von Kedoschim). Doch war der Befehl erst ergangen, nachdem der Freitag schon zu drei Vierteln vorüber war (Talmud, Sanhedrin 38b); somit sollten sich Adam und Eva eigentlich nur drei Stunden der Fruchte enthalten! Wenn wir dazu noch bedenken, dass Adam "von G-ttes Hand geformt" war und das Verbot aus G-ttes Mund selbst gehört hatte, ist es da nicht absolut erstaunlich, dass er sich nicht einmal drei Stunden lang beherrschen konnte?

Allen Menschen wohnt ein Jezer Hara (böser Trieb) inne, dessen einziges Ziel, ja, dessen Existenzberechtigung darin besteht, uns zur Gegnerschaft gegen G-ttes Willen zu verleiten. Der Trieb mag seine wahren Absichten verhüllen und durch scheinbar "vernünftige" Argumente tarnen, so z.B. mit der Angabe, eine Vorschrift sei zu schwierig usw. usw.; aber sein wirkliches Ziel besteht darin, uns zu verleiten, gegen G-ttes Willen zu handeln. Daraus folgt; Je wichtiger eine gewisse Vorschrift für jemanden ist, desto mehr wird sich der Jezer bemühen, dem Betreffenden von der Ausführung des Gebotes fernzuhalten (vgl. Sanhedrin 97a: "Ein Ort namens Kuschta" etc.). Selbst dort, wo die Vorschrift tatsächlich mit Leichtigkeit befolgt werden könnte, scheint sie plötzlich äußerst schwer, und zwar weil der Jezer schlaue und listige Argumente vorbringt; er weiß, wie wichtig in der Tat die Ausführung der Mizwa für diese Person ist.

Jetzt versteht man leicht, wie Adam der Versuchung verfallen konnte. Der Jezer (der damals die Gastalt einer Schlange annahm) kannte genau den weitreichenden Effekt dieser ersten Sünde (Sohar, Bereschit 35b; Pirke d’Reb Eleasar, Kap. 13.); daher setzte er seine stärksten Argumente und größten Überredungskünste in jenen drei Stunden ein – bis er leider Erfolg hatte.

Eine Mussar-Lehre für uns: Es gibt viele, die behaupten, die Juden würden wohl frommer werden – wenn nur die "Last der Tora-Gesetze leichter gemacht würde. Gäbe es bloß ein paar einfache Gebote zu befolgen – so bringen sie vor –, dann würden alle Juden sie getreu befolgen. Damit beweisen diese Menschen aber nur, dass sie leider die grundlegende "geistige Struktur" des Juden völlig missverstehen, wie auch die Zielsetzung des Jezer Hara. Denn hier liegt der Beweis: Als es nur eine einzige Vorschrift gab – und diese hatte auch nur für drei Stunden Gültigkeit –, auch da erschien es unmöglich, sie zu erfüllen.

So liegt die Antwort nicht in Kompromissen mit den Gesetzen der Tora. Vielmehr sollte jeder zu der Einsicht kommen, dass ihm die Möglichkeit, die innere Stärke, gegeben ist, über seine Triebe zu siegen und G-ttes Willen auszuführen.