Der Übergang vom Monat Tischrei zur normalen Arbeit das übrige Jahr hindurch bedarf der Vorbereitung. Angezeigt wird dieser Übergang durch Schabbat Bereschit, an dem wir mit dem Zyklus der Toravorlesungen wieder von vorne anfangen; es ist der Schabbat, an dem der Neumond für den Monat Cheschwan (an welchem zurzeit des Tempels der Dienst im Heiligtum aufs neue einsetzte) gesegnet wird. Im Sohar heißt es: "G-tt schaute genau in die Tora, und so schuf Er die Welt." Ein Jude, dessen Dienst doch widerspiegeln muss, dass er "im Ebenbilde G-ttes" geschaffen ist, muss deshalb ebenfalls "genau in die Tora schauen", bevor er sich den weltlichen Dingen wieder zuwendet. In gewöhnlicher Sprache bedeutet dies, dass er stets den Schulchan Aruch (den jüdischen Gesetzeskodex) zu Rate ziehen muss, um zu wissen, was verboten und was erlaubt ist.
Indessen hat dies noch einen weiteren, tieferen Sinn. Alle Dinge haben einen Funken von G-ttlichkeit in sich, womit ihre innere Lebenskraft gewährleistet ist; ihre Wurzel und Quelle ruht in der Sphäre des Geistigen. Gerade auch ein Kennzeichen der Tora ist es, dass in ihren Lehren alle Dinge so aufgezeigt sind, wie sie im Geistigen wurzeln. Damit erhellt sofort, was es eigentlich bedeutet, wenn wir sagen, ein Jude müsse in der Tora nachforschen, ehe er sich mit weltlichen Dingen abgeben kann: Er lernt zuerst einmal, wie diese weltlichen Angelegenheiten in der Tora ihren Ausdruck finden, und erst dann wendet er sich ihrer physischen Seite zu. Da seine spirituelle Quelle, seine Seele, sich dessen bewusst ist, wird diese Aufgabe automatisch leichter, und der Erfolg stellt sich leichter ein.
"In der Tora zu schauen": das ist daher die unerlässliche Vorbereitung und Vorbedingung für jedes weltliche Unternehmen. Und in diesem Lichte wird noch besser verständlich, dass wir den Tora-Zyklus unmittelbar vor dem Monat Cheschwan erneuern, eben dem Monate, an dem der Dienst in der Welt wieder von vorne anfängt.
Was wir aber so in der Tora wieder von neuem lesen und lernen, sind nicht ganz einfache gewöhnliche Angelegenheiten und Themen. Was wir jetzt wieder anfänglich lernen, das ist die Erschaffung der Welt "aus dem Nichts". Es war aus überhaupt "nichts", dass die Worte des Schöpfungsvorganges das "Etwas" – die Materie – zur Existenz brachten.
Wenn ein Jude diese Verse lernt, die da die Schöpfung "aus dem Nichts" schildern und behandeln, dann ist es so, dass "G-tt (gleichsam) ihm gegenübersitzt und genau die gleichen Verse auch liest und lernt" (Jalkut Schimoni, Echa, Nr. 1034). Dabei liest G-tt die "Zehn Aussprüche, mit denen die Welt geschaffen wurde" (Mischna Awot 5. ,1), und Er schafft die Welt aufs Neue. So auch lernt ein Jude die Tora – und damit wird die Welt aufs Neue geschaffen.
Nun findet gerade dieses "Schöpfungs"-Lernen (Sidra Bereschit) am Ende des Monates Tischrei statt, nachdem er den G-ttesdienst dieses ganzen Monates beendet hat, und nachdem er ja die ganze Tora eben erst zu Ende gelesen hat. Das Prinzip gilt jedes Mal (Talmud, Brachot 28a): "ln heiligen Dingen muss man immer ansteigen." Folglich muss und wird sein neues Lernen auf einem höheren Niveau als das frühere Lernen stehen. Und daher steht die neue Welt, die durch sein Lernen "geschaffen worden" ist, ebenfalls auf einer höheren Ebene als die vorige.
Die praktische Lehre, die aus diesem Überlegungen erwächst, ist diese: Die Welt ist groß, sie ist angefüllt mit vielen komplizierten – und möglicherweise beängstigenden – Einheiten und Dingen. Der Jude jedoch ist gewappnet in der Erkenntnis, dass die Welt durch ihn geschaffen worden ist, durch sein Lernen von Tora. So muss, ganz notwendigerweise, die Welt ihn respektieren, und im Bewusstsein der Tatsache, dass die Macht des Schöpfers ihm zur Seite steht, kann er diese Welt zu G-ttes Wohnsitz machen.
Diese Gewissheit ermöglicht es ihm dann, sich in Sicherheit zu wiegen, körperlich und seelisch, denn "G-tt ist dein Wächter, dein Schutz auf deiner rechten Seite" (Psalm 121, 5).
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