Rosch Haschana ist der "Geburtstag des Menschen", das Datum im jüdischen Kalender, an dem der Mensch geschaffen worden ist, letztes aller Lebewesen und dabei dasjenige, das auf dem höchsten Stand der Entwicklung steht. Es ist des Menschen Intellekt, der ihn vor den Tieren auszeichnet.
Man hätte deshalb sogar erwarten können, dass der G-ttesdienst zu Rosch Haschana ganz besonders die Form von hochstehenden intellektuellen Erörterungen und Diskussionen annehmen würde; und damit denn wäre des Menschen Überlegenheit über alle anderen Formen der Schöpfung klar angezeigt.
Stattdessen jedoch steht im Mittelpunkt das G-ttesdienstes für Rosch Haschana die Tekiat Schofar, das Blasen des Widerhorns. Schon in alten Zeiten gab es, wie wir aus der Geschichte wissen, vortreffliche musikalische Instrumente. Aber schöne, elegante Musik, mit großartigen Instrumenten produziert, ist hier nicht am Platze. Die Vorschrift von Tekiat Schofar besagt ausdrücklich, dass ein einfaches, kunstloses Horn, das einen einfachen Ton hergibt, benutzt werden muss.
Hierin ist eine tiefe Lehre enthalten. Rosch Haschana, Anfang und Grundlage des ganzen Jahres, wird durch den Schall aus dem Horn eines Tieres angekündigt, um uns dies zu lehren: Zwar ist der Mensch ein mit Intelligenz ausgestattetes Wesen, und er muss im täglichen Leben ständig den Verstand und die Vernunft zur Anwendung bringen; jedoch ist die Vorbedingung dieser Geistigkeit seine Unterwerfung unter G-tt – eine so absolute Unterwürfigkeit, wie sie ein intelligenzloses Tier zeigt.
Für Schabbat Schuwa – den "Schabbat der Rückkehr" – sei außerdem auch ein Wort über die manchmal leider vernachlässigten Mizwot allgemein gesagt: All die Mizwot, die ein Jude im täglichen Leben ausübt, sind nicht einfach "symbolisch", vielmehr sind sie gute Taten an sich, in erster Linie zur Förderung seines eigenen Wohlergehens bestimmt und außerdem zum Wohle seiner ganzen Umwelt. Selbst wenn ein solcher pragmatischer Wert der Mizwot nicht völlig – oder auch nicht einmal teilweise – verstanden wird, ändert sich dadurch an der Tatsache nichts. Dies kann durch einen Vergleich illustriert werden: Wenn der Körper Nahrung braucht, dann muss er diese alsbald erhalten, ohne dass vorher erst eingehend überprüft wird, in welcher Weise und inwieweit die Vitamine und Kalorien ihn bei Kräften erhalten. Das Gleiche gilt für die Seele, deren "Nahrung" und Stärkung Tora und Mizwot sind. Wenn die Seele hungert, insbesondere wenn sie so "verhungert" ist, dass sie nicht einmal mehr "Appetit" hat, dann ist es von allererster Wichtigkeit, sie durch Tora und die praktischen Beobachtung der Mizwot wieder zu Kräften zu bringen.
So darf es eigentlich nicht verwundern, dass die tiefsten Gründe für G-ttes Vorschriften überhaupt nicht leicht verständlich sind. Man kann diesen weiteren Vergleich heranziehen. Wie stellt sich ein Kind zu den Einschärfungen eines erfahrenen Lehrers, wenn dieser ihm Verhaltensmassregeln gibt? Nachdem doch ein großer Unterschied in der Intelligenz beider besteht, ist es nicht verwunderlich, dass das Kind den Lehrer nicht begreift, obgleich es sich hierbei doch nur um einen relativen Gradunterschied von Wissen und Erfahrung handelt und das Kind die Gabe hat, eines Tages so gescheit wie der Lehrer zu sein oder ihn gar noch zu überflügeln.
In der Beziehung eines menschlichen Wesens zu G-tt aber ist die Sachlage überhaupt nicht dieselbe, selbst wenn dieser Mensch ein Prophet wäre. Kein Mensch vermag die G-ttliche Weisheit zu erfassen; er kann lediglich zu verstehen suchen, dass G-tt in Seiner großen Güte uns außerordentliche Möglichkeiten gegeben hat, wenn wir Seinen Anordnungen und Geboten folgen und dementsprechend leben.
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