Oft wird in der Tora erwähnt, dass sie in der Wüste Sinai gegeben wurde. So auch in unserer Parascha, welche mit den Worten „G-tt sprach zu Mosche in der Wüste Sinai ...“ beginnt. Nach der Wüste ist auch unsere Parascha benannt – „Bamidbar“ bedeutet in der Wüste.
Der Midrasch kommentiert das und sagt: „Nur Jemand, der sich wie die Wüste als Herrenlos erklärt, kann darauf hoffen, die Tora zu erwerben.“ Wie sollen wir diese Worte des Midrasch verstehen? Ist es nicht gerade derjenige, welcher sich selbst und sein Leben sehr ernst nimmt, der sich das Torastudium zur Lebensaufgabe machen würde?
Wir können dies so erklären: Die meisten Menschen verfolgen in ihrem Leben verschiedene Ziele. Diese Ziele könnten lauten: Beruflich Karriere zu machen, in finanzieller Hinsicht erfolgreich zu sein und ein glückliches Familienleben zu haben. Manchmal gesellt sich dann auch der Wunsch nach Spiritualität und Lernen hinzu und bildet ein viertes Ziel. All diese Ziele sind verständlich und gut. Dennoch lehrt uns der Midrasch, dass ein gründliches, vertieftes Toraverständnis auf diesem Wege nicht erreicht werden könne. Natürlich kann der Mensch auch auf diesem Wege sehr viel lernen und verstehen, aber die wahre Krone der Tora schmückt nur ein Haupt, dass sich voll und ganz nur diesem, einzigen Ziel, nämlich sich die Tora anzueignen, verschrieben hat.
Der Mensch muss bereit sein, auf alles zu verzichten, ein Leben in Armut und Entbehrung zu führen und sich nur dem Studium zu widmen, will er der Tora Herr werden.
Nun ist es klar, dass dieser Weg nicht für Alle der richtige Weg ist. Es sind nur einzelne Individuen, für die ein solcher Lebensstil überhaupt in Frage kommt.
Dennoch enthalten die Worte des Midrasch auch für jeden Torastudent eine wichtige Lehre: Als das jüdische Volk befragt wurde, ob es denn bereit sei, die Tora und das Leben nach den Vorschriften der Tora auf sich zu nehmen, antwortete es: „Na'ase Wenischma! - Wir werden tun und wir werden hören!“ Damit brachten sie zum Ausdruck, dass sie nicht zuerst abwarten würden, um herauszufinden, was die Tora denn überhaupt von ihnen verlange, sondern von vornherein alles akzeptieren, das sie später hören würden.
Mit „Hören“ wird auch das Begreifen gemeint. Auch wenn sie die Gesetze nicht begreifen würden, deutet sie ihre Bereitschaft an, sie dennoch zu befolgen.
Jeder Torastudent sollte mit ebendieser Einstellung an das Studium herantreten: Er soll bereit sein, zu befolgen bevor er weiss, was er befolgen muss. Er soll bereit sein zu akzeptieren, bevor er es verstehen und begreifen kann. Dies meint der Midrasch mit „sich als Herrenlos“ anzusehen: Die Bereitschaft vorgebildete Meinungen von Neuem zu überdenken und sich den Gedanken der Tora zu öffnen.
Das will jedoch nicht ausschliessen, dass der Mensch keine Fragen stellen soll, im Gegenteil, das Fragen und Denken sind integraler Bestandteil des Torastudiums. Gleichzeitig sollte aber auch die Einstellung sein, den Versuch zu unternehmen, das Geschrieben zu begreifen und wenn nicht möglich, es dennoch zu akzeptieren.
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