Das vierte Buch Mose heißt auch „das Buch der Volkszählung“, da das erste Gebot darin die Volkszählung Israels in der Wüste ist.

G-tt gebietet eine Volkszählung durchzuführen. Benötigt Er jedoch diese, um zu wissen, wie groß das jüdische Volk ist?! Raschi erklärt den eigentlichen Sinn dieses Gebots: „Durch die Volkszählung drückt G-tt seine Liebe und Zuneigung zum jüdischen Volk aus.“1

Alle gleich

Inwiefern kann durch die Volkszählung die Liebe zum Volk ausgedrückt werden? Eigentlich bewirkt die Volkszählung das Gegenteil: Sie berücksichtigt überhaupt nicht den individuellen Menschen, seine Eigenschaften und Fähigkeiten. Eine wichtige Person erhält genau denselben Status wie eine einfache Person; in der Volkszählung werden sie beide gleichgestellt.

Doch eben diese Gleichstellung durch die Volkszählung lässt die Liebe G-ttes zu seinem Volk erkennen. Bei einer Volkszählung zählt man nicht die Besonderheiten und Fähigkeiten jedes einzelnen Menschen. Da gibt es zwischen den Menschen sehr große Unterschiede.

Bei einer Volkszählung schaut man auf etwas ganz anderes; jenen inneren Punkt, der bei allen Menschen gleich ist, ihr gemeinsamer Nenner. Deshalb stellt die Volkszählung jeden gleich, da sie den inneren Punkt aller Menschen anspricht, der bei allen derselbe ist.

Abhängig

Man kann den Menschen anhand seiner Fähigkeiten, seiner Neigungen, seines Stammbaums, seines gesellschaftlichen Standes, seiner wirtschaftlichen Lage usw. beurteilen. Darin sind die Menschen wirklich verschieden. Jeder nimmt in der Welt seinen eigenen Platz ein. Doch dann hängt die Beurteilung des Menschen von seinen Eigenschaften und Fähigkeiten ab. Der Reiche hört auf angesehen zu sein, wenn er kein Vermögen mehr hat und der Gelehrte gerät in Vergessenheit, sobald man seiner Weisheit nicht mehr bedarf.

Doch wenn man die Menschen nicht anhand ihrer Eigenschaften und Fähigkeiten beurteilt, sondern anhand jenem inneren Punkt, der sie allein ausmacht, nämlich Mensch zu sein, gibt es keinerlei Unterschiede zwischen einem Menschen und seinem Nächsten. Jeder ist auf dieselbe Weise ein „Mensch“, wie sein Nächster.

Gerechter wie Bösewicht

Nun wird verständlich, inwiefern G-tt durch die Volkszählung Seine Liebe zum jüdischen Volk ausdrücken wollte. Man hätte meinen können, dass G-tt das jüdische Volk liebt, weil sie besondere Eigenschaften haben, bedingungslos bereit waren, die Thora zu akzeptieren und Mitzwot aufweisen. Wäre dies der Fall, würde die Liebe G-ttes zum jüdischen Volk von den Eigenschaften und Taten der Juden abhängen. Eine solche Liebe stellt Bedingungen. Sie verschwindet, sobald die Bedingungen nicht eingehalten werden.

Doch das ist nicht die Liebe von G-tt zu seinem Volk. G-tt liebt das jüdische Volk ohne jegliche Gegenleistung. Um dies auszudrücken, ordnete Er die Volkszählung der Kinder Israels an. Jeder Jude zählt für G-tt, nicht seiner Eigenschaften wegen, nicht seiner Frömmigkeit wegen und nicht seiner Taten wegen, sondern wegen seinem inneren Punkt, weil er ein Jude ist. Und das ist bei allen Juden gleich.

Es ist so, als würde G-tt sagen: „In Bezug auf Meine Liebe zu euch gibt es für Mich keinerlei Unterschied zwischen dem Einen und dem Anderen, sogar nicht zwischen dem Gerechten und dem Bösewicht. Ich liebe euch alle auf dieselbe Weise, nämlich, weil ihr Juden seid. Und dieser jüdische Punkt ist bei euch allen gleich!“

(Likutej Sichot, Band 8, S., Seite 1)