Den Thorakommentatoren zufolge musste derjenige, der ein Opfer auf dem Altar darbrachte, eine spezifische Andacht haben: Alle Prozeduren, die das Opfer durchmachte (schlachten, enthäuten, verbrennen usw.) sollte eigentlich der Mensch selbst seiner Sünden wegen durchmachen. Doch G-tt übertrug sie in Seiner großen Barmherzigkeit auf das Opfer.1
Die Idee hinter der Opferdarbringung ist, dass der Mensch sein „inneres Tier“, die sogenannte tiergleiche Seele, an G-tt opfert und jeden Prozess, den ein geopfertes Tier durchmacht, an seiner tiergleichen Seele durchführt. Daraus wird ersichtlich, dass jeder Schritt der Opferdarbringung auch in der Seele wiederzufinden ist.
Ein Beispiel aus unserem Wochenabschnitt zur Veranschaulichung: Den Vers Das ist das Gesetz des Ganzopfers, das auf dem Altar hinaufkommt, für die ganze Nacht bis zum Morgen2, kommentiert Raschi wie folgt: „Dieser Abschnitt lehrt, dass das Verdampfen der Fettstücke und Glieder die ganze Nacht hindurch erlaubt ist.“ Die vorzügliche Zeit für ihr Verdampfen ist eigentlich am Tag, doch falls dies bis dahin nicht geschehen ist, darf man sie auch nachts verdampfen lassen.
Der Genuss an der Mitzwa
Nun übertragen wir diesen Prozess der Opferdarbringung auf die Seele des Menschen. Die Fettstücke stehen in der Seele für die Kraft des Genusses.3 Sagt die Thora: Alle Fettstücke gehören G-tt.4 Der Jude muss die Kraft seines Genusses nur zu jenen Angelegenheiten lenken, die mit G-tt zu tun haben, sprich Thora und Mitzwot.
Dabei könnte er glauben, dass das Problem bei weltlichen Angelegenheiten liegt. Diese soll er nicht begehen, weil er daran Genuss hat. Doch Thora und Mitzwot erfüllen, weil man daran Genuss hat, ist überhaupt kein Problem. Doch die Thora sagt ausführlich: „Nein! Auch die Fettstücke der Opfer, der Genuss an Thora und Mitzwot, müssen G-tt geopfert werden und gehören nicht dem Menschen.
Kein persönlicher Genuss
Die Thora fügt hinzu, dass die hauptsächliche Zeit für die Opferung der Fettstücke am Tag ist. „Tag“ (Licht) symbolisiert die Beschäftigung mit der Thora und den Mitzwot, denn die Thora ist eine Leuchte und die Mitzwa ein Licht.5 „Nacht“ symbolisiert die Beschäftigung mit weltlichen Angelegenheiten.
Damit lehrt uns die Thora, dass die Pflicht seinen Genuss, G-tt zu opfern, vordergründig „am Tag“ sein muss, das heißt, wenn man sich mit der Thora und den Mitzwot beschäftigt. Denn da ist die Gefahr besonders groß, dass der Jude sich den Genuss behält und nicht G-tt opfert.
Dies heißt natürlich nicht, dass man G-tt nicht mit Freude dienen soll! Man muss die Thora und die Mitzwot mit großer Freude erfüllen, jedoch muss die Freude einzig und allein daraus entspringen, dass die Thora und Mitzwot der Wille G-ttes sind und nicht, weil sie dem Juden gefallen, er ihren Sinn versteht und sie ihm Freude bereiten. Der Jude lernt Thora, weil sie die Thora G-ttes ist. Das muss der Grund für seine Freude sein. Er erfüllt Mitzwot, weil er sich dadurch an G-tt bindet. Das muss der Grund für seine Freude sein.
Gebeugter Verstand und Hochmut
Sobald der Genuss nur G-tt gewidmet wird, kann das den Juden auch vor Fehlern beim Ausüben von Thora und Mitzwot bewahren. Wenn er zum Beispiel während des Thorastudiums eine neue These entdeckt hat und großen, intellektuellen Genuss dabei empfindet, könnte es für ihn sehr schwer sein, auf seine neuentdeckte These zu verzichten, falls sie sich als falsch herausstellt. Der persönliche Genuss, den er an seiner These hat, kann seinen Verstand irritieren, sodass er seinen Fehler nicht einzugestehen vermag.
Eine weitere Problematik ist, dass der persönliche Genuss an der Thora und den Mitzwot zu „gelehrtem Hochmut“ führen kann. Doch sobald der Jude seinen Genuss G-tt „opfert“ und sein einziges Ziel beim Thoralernen und dem Erfüllen der Mitzwot der Dienst an G-tt ist (und nicht seine persönlichen Interessen), wird er beim Thorastudium stets die Wahrheit suchen und auch bei großen Entdeckungen und großer Gelehrsamkeit vor der Hochmut bewahrt bleiben.
(Likutej Sichot, Band 3, Seite 948)
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