Unser Wochenabschnitt erzählt uns über die eigenartige Bitte Moses an G-tt: Zeige mir bitte Deine Herrlichkeit.1 Darauf erwidert ihm G-tt: Du vermagst nicht Mein Angesicht zu erblicken; du siehst Meinen Rücken, doch Mein Angesicht kannst du nicht sehen.2 Raschi kommentiert dazu: „G-tt zeigte Mose den Knoten der Kopftefilin.“
Es ist klar, dass diese Antwort G-ttes nicht wortwörtlich zu nehmen ist. „Angesicht“ und „Rücken“ haben hier eine symbolische Bedeutung: „Angesicht“ deutet auf eine deutliche Offenbarung, so wie der Mensch durch sein Gesicht deutlich wird. „Rücken“ hingegen drückt eine verschleierte Offenbarung aus, so wie man am Rücken eines Menschen nur seine Umrisse erkennt. Und worin liegt die Bedeutung in dem Knoten der Kopftefilin?
Absurder Zustand
Mose richtete seine Bitte an G-tt, nachdem G-tt sich bereit erklärt hatte, sich ihm zu zeigen. Denn G-tt wollte Mose belehren, auf welche Weise er für das jüdische Volk in allen Generationen um Erbarmen bitten könne. Darin fällt auch der „Knoten der Kopftefilin“.
Das Bitten um Erbarmen kommt hier konkret für die Sünde des goldenen Kalbs. Doch eigentlich ist das ein absurder Zustand. Wie kann man überhaupt G-tt für eine so schwerwiegende Sünde um Erbarmen bitten? Und überhaupt: Welches Recht hat der Mensch, dass er G-tt für eine Sünde, egal welche, um Erbarmen bittet?
Vergessenheit und Sünde
In Wahrheit aber stellt sich eine viel wesentlichere Frage. Wie kann der jüdische Mensch überhaupt eine Sünde begehen? Die Juden sind doch von Grund auf gläubig und Kinder von gläubigen Juden, sagt der Talmud.3 Jeder Jude glaubt in seinem Herzen, dass G-tt der Schöpfer ist, die Welt regiert, ihn liebt, ernährt und belebt und das in jedem Augenblick. Wie kann es sein, dass der Jude gegen G-tt sündigt, wo G-tt doch den ganzen Kosmos füllt und ihm in jedem Augenblick Leben spendet?
Die Antwort lautet: Die Sünde ist das Resultat des Vergessens. Der Jude vergisst leider sehr schnell all die Güte G-ttes zu ihm und dass G-tt der Schöpfer ist. Doch sobald er sich all dies wieder ins Gedächtnis ruft und es sich zu Herzen nimmt, hat die Sünde keinen Nährboden mehr.
Rückkehr durch Erinnerung
Daraus wird ersichtlich, dass die Bitte um Erbarmen eng mit der Erinnerung an G-tt und Seiner Güte zu uns in Verbindung steht. Sobald der Jude sich an G-tt, seinem Vater im Himmel, erinnert, stellt sich die Sünde als Irrtum heraus, die nur aus Vergesslichkeit kommen konnte.
Deshalb sagen unsere Meister, dass G-tt, als Er Mose erschien, „in Talit und Tefillin gekleidet war.“4 Denn Zizit und Tefillin sind Ausdruck für das „sich Erinnern“. In der Thora steht über die Zizit geschrieben: Und ihr sollt sie sehen und euch erinnern5 und auch über die Tefillin heißt es in der Thora: Als Erinnerung zwischen deinen Augen.6
Doch einen besonderen Bezug zum „sich Erinnern“ hat „der Knoten der Kopftefilin“. Der „Knoten“ drückt mehr als alles andere eine Stärkung des Erinnerungsvermögens aus (wie es auch bekanntlich den Brauch gibt, einen Knoten zu binden, um Dinge nicht zu vergessen7).
Nun wird verständlich, weshalb G-tt Mose „Seinen Rücken mit dem Knoten der Kopftefilin“ zeigte, als Er ihm beibringen wollte, wie er für das jüdische Volk um Erbarmen bitten sollte. Denn auf diese Weise kann man jede Sünde sühnen und vorbeugen, ein Abkommen vom richtigen Weg korrigieren und verhindern, zur jüdischen Identität zurückkehren und sie bewahren – indem man seine Erinnerung über G-tt, Seine Thora, das jüdische Volk und dessen Geschichte aufrechterhält, stärkt und niemals in Vergessenheit geraten lässt, bei sich, seinen Kindern und Enkelkindern, bis in allen weiteren Generationen!
(Likutej Sichot, Band 21, Seite 232)
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