Ein Mensch, der ehrlich mit sich selbst ist und die Wichtigkeit einer gewissen Sache erkennt, würde sehr viel dafür geben sein Leben nach diesem Bewusstsein zu richten. In letzter Zeit z.B. sind viele Menschen auf „Bio-Produkte“ umgestiegen, da sie die Notwendigkeit der Konsumierung gesunder Nahrung erkannt haben.

Nach diesem Prinzip richtet sich auch das Judentum. An dem jüdischen Menschen liegt es den Geboten der Thora, von deren Wichtigkeit er doch überzeugt ist, in jeder Hinsicht Vorrang zu geben und sie nur auf die beste und perfekteste Weise zu erfüllen.

In unserem Wochenabschnitt aber stoßen wir auf ein Gebot, das genau das Gegenteil predigt − „die Abgabe des Halben Schekels“! So klingt das in den Worten der Thora: Solches sollen sie geben ... einen halben Schekel − zwanzig Gera der Schekel − die Hälfte des Schekels als Abgabe an G-tt. Zweimal wird in dem Vers die Abgabe eines halben Schekels betont. Und um seinen Wert zu bestimmen ergänzt die Thora den Wert des ganzen Schekels − zwanzig Gera.

Um dem oben genannten Prinzip im Judentum gerecht zu werden, hätte doch die Thora „zehn Gera“, eine runde (ganze) Zahl, als Abgabe an G-tt angeben müssen. Aus welchem Grund bevorzugt sie gerade bei diesem Gebot den halben Schekel zu betonen, einen Ausdruck für Unvollkommenheit?

Der moderne Götzendienst

Unseren Gelehrten zufolge1 ist einer der Gründe für dieses Gebot die Sünde des Goldenen Kalbs zu sühnen. Das heißt, gerade die Abgabe des halben Schekels bewirkt die Vergebung. Götzendienst im eigentlichen Sinn bedeutet die Trennung von G-tt, und Ursprung dieser Trennung ist die Überheblichkeit des Menschen, sodass er seiner eigenen Person mehr Vorrang gibt als G-tt selbst. Sobald der Mensch meint von G-tt unabhängig zu sein, steht er bereits mit beiden Füßen im Götzendienst. So sieht die moderne Form des Götzendienstes aus.

Die Wiedergutmachung dieser Sünde erfolgt durch das Erkennen und Akzeptieren der g-ttlichen Einheit mit der Welt, dass sie und ihre Geschöpfe vollkommen in den Händen G-ttes liegen. Sobald der Jude von dieser Erkenntnis erfüllt wird − seiner realen Abhängigkeit von G-tt und dass die eigentliche Existenz nur durch die Verbundenheit mit der g-ttlichen Lebensquelle besteht − ist seine Bewahrung vor dem Götzendienst sicher.

Zwei Hälften ...

Der Jude soll einen halben Schekel für sein Seelenheil, verunreinigt durch das Goldene Kalb, abgeben. Damit deutet ihm die Thora an, dass er durch die Trennung von G-tt nicht mehr als eine Hälfte ist. Er hat keine eigene Existenz. Es fehlt an ihr. Erst mit der Bindung an G-tt (der zweiten Hälfte) wird er zu einem Ganzen.

Das lehrt uns auch die Art und Weise der Bindung zwischen G-tt und dem Menschen. G-tt und der Jude sind nicht zwei getrennte Wesen, die sich miteinander verbinden, sondern zwei Hälften, die gemeinsam ein Ganzes bilden. Also gerade der halbe Schekel (ausgedrückt durch wahre Hingabe an G-tt) führt zur Ganzheit des Menschen.

... Ein Ganzes

Einen Hinweis auf diese Verbindung zwischen G-tt und dem Menschen (angedeutet durch den halben Schekel) finden wir beim Bundesschluss zwischen G-tt und Mose in unserem Wochenabschnitt, als G-tt sich willig zeigte, das Flehen Moses um Vergebung für das jüdische Volk zu erhören, das G-tt mit dem Goldenen Kalb zutiefst betrogen hatte. Zu damaligen Zeiten bestand der Bundesschluss darin, einen ganzen Gegenstand zu nehmen und ihn zu halbieren. Daraufhin musste man zwischen den zwei Teilen durchgehen. Somit drückten die Betroffenen aus, dass es, obwohl sie zwei voneinander getrennte Menschen sind, sich dabei um ein Ganzes handelt, nur in zwei Hälften geteilt.

Das also ist die tiefere Bedeutung des Bundes zwischen G-tt und dem Juden und des Gebotes des halben Schekels: Unsere Ganzheit liegt gerade in der Erkenntnis unser eigenes Wesen als inkomplett zu betrachten! Den fehlenden Teil ergänzen wir durch die Bindung zu G-tt.

(Likutej Sichot, Band 3, Seite 926)