Als sich Jakow mit seiner Familie auf die Reise zurück ins Heilige Land machte, heißt es in der Thora: Jakow stand auf und hob seine Söhne und seine Frauen auf die Kamele.1 Bei dieser Schilderung stellte Jakow seine Söhne vor seine Frauen. In allen anderen Versen aber gibt Jakow seinen Frauen Vorrang. So sagte er zum Beispiel zu seinem Schwiegervater Lawan: Gib mir meine Frauen und meine Kinder.2 Auch vor dem Treffen mit seinem Bruder Esaw heißt es: Und er nahm seine zwei Frauen und zwei Nebenfrauen und elf Kinder.3

Tatsächlich muss der Mann laut dem jüdischen Gesetz seine Frau vor seine Kinder stellen. Dafür werden drei Gründe angeführt: 1) weil sie Mutter seiner Kinder ist; 2) da er seine Frau mehr ehren muss, als sich selbst; 3) um seine Kinder zu erziehen, die Mutter zu ehren.4

Warum dann änderte Jakow die Reihenfolge in unserer Thorastelle und gab seinen Söhnen Vorrang?

Verschiedene Motive

Raschi erläutert: Jakow stellte die Söhne vor die Frauen, im Gegensatz zu Esaw, der die Frauen vor die Söhne stellte, wie es heißt: Esaw nahm seine Frauen und seine Söhne.5

Sowohl Jakow als auch Esaw stellten für gewöhnlich die Frauen vor die Söhne. Um dennoch aufzuzeigen, dass sie dies aus völlig verschiedenen Motiven taten, stellte in unserer Thorastelle Jakow ausnahmsweise die Söhne vor die Frauen.

Esaw „stellte die Frauen vor die Söhne“: Dies drückte seinen Lebensstil aus, nämlich der Begierde nach Frauen zu verfallen. Er gab ihnen nicht Vorrang aus Respekt, sondern um seine Begierden zu befriedigen. Seine Söhne hingegen, eine gute Nachkommenschaft, waren für ihn nebensächlich.

Jakow hingegen „stellte die Söhne vor die Frauen“: Seiner Weltansicht zufolge waren die Söhne, die nächste Generation, die Hauptsache. Ihre Erziehung war das Allerwichtigste. Und als er seine Frauen vor die Söhne stellte, tat er dies aus frommen Motiven, um sie zu ehren und seine Kinder richtig zu erziehen.

Verstand und Gefühl

In einem breiteren Sinn symbolisieren „Söhne“ und „Frauen“ zwei Bereiche im Menschen. „Söhne“ steht für den Verstand, die Vernunft und Überlegung. „Frauen“ steht für das Herz, Gefühl und die Begeisterung.

So sehen wir auch, dass Männer im Vergleich zu Frauen mehr rational und „kalt“ sind, Frauen hingegen mehr Wärme und Gefühl als Männer haben.

Im Lichte dieser Symbolik lässt sich die Beschreibung der Thora über Jakow und Esaw wie folgt erklären: Jakow „stellte die Söhne vor die Frauen“ – Bei ihm stand immer der Verstand über den Gefühlen. Er ließ sich nicht von seinen Emotionen leiten, sondern folgte immer der Vernunft. Auch wenn die Gefühle sehr stark waren, gaben sie schließlich dem Verstand nach.

Esaw hingegen „stellte die Frauen vor die Söhne“ – Er ließ sich von seinen Gefühlen leiten, suchte den momentanen Nutzen und dachte nicht weitsichtig. Sein Verstand beugte sich den Gefühlen und war bloß ein Hilfsmittel dabei, seine Begierden auszuleben.

Die Kraft der Emotionen

Tatsächlich steckt aber hinter der Eigenschaft, die Gefühle über den Verstand zu stellen, auch etwas Positives. Emotionen sind voller Energie und viel impulsiver, als die Vernunft. Mit dem Verstand macht man viele Überlegungen, die dadurch Taten verzögern und agiert vorsichtiger, was oft lähmend ist. Mit den Gefühlen hingegen sprengt man diesen Rahmen und „geht einfach auf die Sache los“. Doch Gefühle sind auch schwer zu bändigen und können außer Kontrolle geraten. Deshalb müssen wir auf dem Weg Jakows gehen, bei dem der Verstand das Herz kontrollierte.

Zur vollkommenen Erlösung aber wird die Frau den Mann führen.6 Dann wird die starke, positive Kraft der Gefühle ohne jegliche Nachteile in unserem Leben vordergründig sein.

(Likutej Sichot, Band 30, Seite 141)