Wenn Sie in den fünfziger oder sechziger Jahren aufgewachsen sind, erinnern Sie sich gewiß noch an die damals herrschende Meinung, man solle Entscheidungen eines Ministers oder Regierungschefs nicht anzweifeln, weil dieser “mehr weiß als wir”.
Selbst wenn etwas nicht in unserem Interesse lag oder gegen unsere Prinzipien verstieß, glaubten wir, es habe einen Sinn, den wir nicht verstünden. Und die Politiker nutzten das aus und verzichteten auf Erklärungen.
Diese Zeit ist natürlich längst vorbei. Heute finden wir es normal, an einem Politiker alles zu kritisieren, von den militärischen Entscheidungen bis zum Haarschnitt. In unseren Augen hat er keine mystische Macht mehr, er ist nur noch “ein normaler Mensch”. Ist das richtig oder arrogant?
In dieser Zeit des Lag BaOmer lesen wir die Wochenabschnitte Behar und können dabei über die jüdischen Führungspersönlichkeiten der alten Zeit nachdenken. Lag BaOmer erinnert uns an Rabbi Akiwa, an das Ende einer Krankheit unter seinen Schülern. Einer der Überlebenden war Rabbi Schimon Bar Jochai, der den Sohar schrieb, das Buch des Lichtes, die Quelle der Kabbala und die Grundlage des Chassidismus, den der Baal Schem Tow begründete.
Aber die führenden Persönlichkeiten weihten die einfachen Leute mehrere Generationen lang nicht in die mystischen Ideen der Kabbala ein. “Fragt nicht nach dem, was für euch zu erhaben und was euch verborgen ist”, lehrten sie. Das jüdische Leben wurde statt dessen vom starken Glauben an G-tt geprägt.
Aber glauben heißt nicht, alles kritiklos hinzunehmen, was irgend jemand uns sagt. Glaube ist die Überzeugung, daß G-ttes Gebote richtig sind. Und wir alle haben das Recht und sogar die Pflicht, unser Leben lang Seine Tora zu studieren und dabei die Weisheit unserer großen, rechtschaffenen Ahnen mit unserer eigenen spirituellen Suche zu verbinden. Es gibt kein “geheimes Wissen”, das nur für einige wenige bestimmt ist und das “einfache Volk” nur verwirren würde.
In G-ttes Augen sind wir alle gleich. Darum enthält Behar genaue Regeln zum Jubeljahr – das war jedes fünfzigste Jahr. Es war eine große Feier, aber auch ein Triumph des Gewissens über den Kommerz. Es war ein Jahr der Freiheit, weil Knechte befreit wurden und das Land an den früheren Besitzer zurückfiel: “Das Land soll nicht für die Ewigkeit verkauft werden, denn das Land ist mein.” So konnten nicht einige wenige Leute riesige Besitztümer anhäufen, und Armut wurde verhindert.
Wahre Freiheit schließt die Freiheit des Geistes ein. Beides ist also richtig: Wir sollen die Menschen, die unser Land führen, respektieren, und wir haben das Recht, eigene Entscheidungen zu treffen. Letzten Endes gibt es aber nur Einen, dessen Wort unumstößlich ist.
Diskutieren Sie mit