Die dieswöchige Sidra spricht (Lev. 25:4 und 10) sowohl vom Schmitta-Jahr (das ist das siebte Jahr in jeden Zyklus) wie vom Joweljahr (das ist das 50. Jahr). Diese beiden Einrichtungen, mit ihren bedeutsamen religiösen Gehalt von Freilassung, Freigabe und Rückgabe, haben ihr Gegenstück im religiösen Leben jedes einzelnen Menschen.
Das siebte Jahr – also das Jahr, in dem das Land nicht bearbeitet werden darf – versinnbildlicht die Idee der Anerkennung und Hinnahme des „Joches des Himmlichen Reiches“. Wenn ein Mensch sich dementsprechend verhält, dann unterwirft er das eigene Ich dem Befehl G-ttes, dem er nun gehorsam ist. Der hebräische Ausdruck für einen solchen Zustand ist „Bittul Hajesch“. An sich besteht hier das Selbstgefühl weiter, und es muss immer wieder und ständig zum Schweigen gebracht werden. In dieser Situation kann es nicht ausbleiben, dass in jedem siebten Jahre der Einwand laut wird (Lev. 25:20): „Was sollen wir essen im siebten Jahre? Wir dürfen ja nicht säen und unseren Ertrag nicht einsammeln!“ Hier zeigt sich also, dass das Ich immer wieder seine Besorgnis zum Vorschein bringt, obwohl es doch bei jeder früheren Gelegenheit die Erfüllung von G-ttes Versprechen erlebt hat, das da lautet (Vers 21): „Ich werde euch Meinen Segen im sechsten Jahre bestellen, und so wird dieses den Ertrag für die drei Jahre hervorbringen.“
Das Joweljahr dagegen steht für den vollständigen Selbstverzicht, die Selbstverleugnung unter G-tt. Das ist auf hebräisch „Bittul Bimziut“. In einem derartigen Zustand wird das Ich sich überhaupt nicht mehr behaupten wollen. Statt G-tt – wie im vorherigen Falle – nur unter dem Einsatz einer starken Willenskraft zu dienen, beruht der Dienst jetzt auf reinem und totalem Einvernehmen, welches so absolut ist, dass es den Vorhang von Selbsttäuschung und Selbstbetrug durchbricht, der die Trennung und Absonderung des Menschen von G-tt herstellt. Dieses 50. Jahr ist das Jahr der „Verkündung von Freiheit“ (Vers 10), und das ist nun die Befreiung von den egoistischen Motiven, die anderenfalls jede einzelne Person gefesselt halten. Jede dieser beiden Stufen hat einen Vorzug der anderen gegenüber. „Bittul Bimziut“, der Gehorsam, der auf völligem Einvernehmen beruht, hat den Vorteil von Ausdehnung und Weite – es ist extensiv. Es beansprucht den „ganzen Menschen“, es umschließt ihn vollständig in seiner Orientierung auf G-tt. „Bittul Hajesch“ demgegenüber, der Gehorsam, der erst durch die Aktivierung des Willens erzielt wird, hat den Vorzug von Stärke und Potenz – es ist intensiv. Hier spielt sich, dauernd, ein starker spiritueller Kampf in der Seele der Menschen ab.
Durch ein einfaches Beispiel lassen sich diese beiden Fälle illustrieren: Es gibt zwei Arten von Beziehung und Verhältnis zwischen einem Diener und seinem Meister. Einmal gibt es da den „schlichten“ Diener, der eigentlich sehr gern frei sein möchte, der aber dennoch seinen Dienst verrichtet, weil er die Schwierigkeit seiner Lage hinnimmt. Auf der anderen Seite gibt es dann den „getreuen“ Diener, der seinem Herrn aus Liebe dient, aus dem wirklichen Wunsch, ihm zu gehorchen. Zwar ist die Unterwürfigkeit des zweiten Typs vollständiger, weil doch seine ganze Natur seinen Dienst gutheißt; jedoch ist die Unterwürfigkeit des ersten Typs intensiver, nachdem es hier jedes Mal auf einen vorsätzlichen Akt von Wollen ankommt. Diesen Menschen kosten sein Vorhaben mehr an Überwindung, an innerer Anstrengung.
In beiden Fällen hat die betreffende Person große Verdienste aufzuweisen; und der Niederschlag, den die beiden bedeutsamen Jahre des jüdischen Kalenders ideell in den jeweiligen Typen finden, ist ein Maßstab für die Unterwürfigkeit verschiedener Menschen, mit unterschiedlichen Charaktermerkmalen, unter den Willen G-ttes.
Diskutieren Sie mit