Du sollst rein vor G–tt und vor Israel sein.“ (Numeri 32:22)

Rabbi Z. M. Steinmetz (der hebräische Dichter Zvi Yair) erzählte:

Im Hause eines meiner Verwandten gab es einen Familienzwist. Er war ein Vetter, der in Südamerika lebte. Seine Tochter hatte sich in einen jungen Mann verliebt, und die beiden wollten heiraten. Doch die Eltern des Mädchens wahren entschieden dagegen, weil der junge Mann nicht religiös erzogen worden war und nicht der Tora gemäß lebte. Obwohl er sich bereit erklärte, mit der Einhaltung der Gesetze und Bräuche der Tora zu beginnen, missbilligten die Familie, die Großfamilie und die Freunde die Wahl der jungen Frau.

Sie war verbittert darüber, dass alle, die ihr etwas bedeuteten, gegen sie waren. Sie hatte den Eindruck, die ganze Welt habe sich gegen ihr Glück verschworen. Die Situation verschlimmerte sich, weil sowohl die Tochter als auch die Eltern immer wütender wurden. Dennoch vereinbarten sie schließlich, die Sache dem Lubawitscher Rebbe vorzutragen. Obwohl die Familie nicht zu den Chassidim des Rebbe gehörte, hatte sie eine hohe Meinung von ihm und wusste, dass sie ihm vertrauen konnte. Beide Parteien versprachen, sich seinem Rat zu beugen. Als „Lubawitscher“ in der Familie wurde ich gebeten, die junge Frau zu ihrer Audienz beim Rebbe zu begleiten.

Damals empfing der Rebbe dreimal in der Woche Besucher, und zwar vom späten Abend an bis zum Morgen. Der letzte Besucher ging oft erst, wenn es schon dämmerte.

Wir betraten das Zimmer des Rebbe gegen 3 Uhr. Zuerst wollten der Rebbe und die junge Frau herausfinden, in welcher Sprache sie sich am besten unterhalten konnten. Sie probierten Jiddisch, Hebräisch, Englisch und Französisch und einigten sich dann auf Deutsch. Als die junge Frau ihre Geschichte erzählte, hörte ich die Enttäuschung in ihrer Stimme: „Ich verstehe nicht, was sie von mir wollen“, sagte sie. „Mein Freund hat versprochen, ein Leben nach der Tora zu führen, und ich weiß, dass er es ernst meint. Warum also sind alle gegen uns?“

„Mag sein, dass er es ernst meint“, erwiderte der Rebbe, „aber welchen Wert hat sein Versprechen, wenn er nicht weiß, worauf er sich einlässt? Du weißt, dass Blankoschecks nach dem Gesetz wertlos sind, selbst wenn der Inhaber „ein Cent“ darauf schreibt. Man kann sich nicht verpflichten, wenn man nicht weiß, wozu. Ein Leben gemäß der Tora ist für jeden eine große Herausforderung, aber es ist noch schwieriger für jemanden, der nicht religiös erzogen wurde.“

„Aber er ist bereit zu lernen“, meinte die junge Frau.

„Lernen genügt nicht“, sagte der Rebbe. „Man kann die Tora mit dem besten Vorsatz studieren und akzeptieren, aber sie im täglichen Leben anzuwenden, ist etwas anderes. Darum schlage ich vor, dass dein Freund mehrere Monate bei einer toratreuen Familie lebt. Lass ihn studieren, aber lass ihn auch aus erster Hand Erfahrungen sammeln, damit er weiß, was sein Versprechen bedeutet – vom Mode Ani beim Aufwachen bis zum Rezitieren des Schma Jisrael vor dem Schlafengehen. Wenn er dann immer noch den Wunsch hat, gemäß der Tora zu leben, segne ich eure gemeinsame Zukunft von ganzem Herzen.“

Erleichtert und erfreut verließ die junge Frau das Zimmer des Rebbe, während ich noch bei ihm blieb, um etwas mit ihm zu besprechen. Doch der Rebbe bat mich sofort, sie zurückzurufen und erklärte: „Sie soll nicht denken, dass wir etwas hinter ihrem Rücken besprechen.“

Es war drei Uhr morgens, und der Rebbe hatte im Laufe der Nacht Dutzende von Menschen empfangen. Trotzdem spürte er, wie verlassen sich diese Frau fühlte, und er merkte, dass sie an eine Verschwörung gegen sich glaubte. Obwohl die Sache zu ihrer Zufriedenheit entschieden war und sie unser Jiddisch nicht verstand, wollte er ohne sie nicht mit mir reden.