Zu Beginn unseres Wochenabschnitts wird uns die Pflicht der Erziehung geboten. Unsere Gelehrten lernen aus dem zweimaligen Ausdruck Sprich zu den Kohanim ... und sage ihnen die grundlegende Regel: „Sprich und sage – zu verwarnen (erziehen) die Großen betreffs der Kleinen“.1
Das lebendige Judentum, wie wir es heute kennen, verdankt seine bereits über dreitausendjährige Existenz seinen Kindern, welche zu einem jüdischen Lebensweg erzogen wurden und diesen nun selbst ihren Nachkommen weitergeben. Diese ununterbrochene Überlieferung wurde von Generation zu Generation weitergeführt bis in unsere Zeit, in welcher wir nun die „Überlieferungskette“ weiter zu führen haben um unserem Judentum den Weiterbestand zu sichern.
Angesichts der enormen Wichtigkeit einer jüdischen Erziehung stellt sich sofort die Frage: Weshalb wird ein so fundamentales Gebot erst im Wochenabschnitt Emor erwähnt und nicht gleich beim Erhalt der Thora? Auch müssen wir verstehen, warum dieses für ganz Israel geltende Gebot ausgerechnet in Verbindung mit den Kohanim erwähnt wird.
Emor zur Omerzeit
Unsere Gelehrten erklären2, dass es eine tiefe Verbindung zwischen jeder Thoralesung und der Zeit, in welcher sie rezitiert wird, gibt. Zwar tragen die Wochenabschnitte immer währende Weisungen in sich, doch besonderen Anklang finden sie in der Zeit ihrer Lesung.
Man liest den Wochenabschnitt Emor im Monat Ijar, welcher durchgehend von einem bestimmten Gebot geprägt ist – dem Omerzählen. Das Gebot des Omerzählens bewirkt den Reifeprozess des jüdischen Volkes, seine erzieherische Vorbereitung für das Erhalten der Thora zum Schawuot-Fest. Beim Auszug aus Ägypten „wurde das jüdische Volk geboren“. Dann begann „seine Erziehung“ zur Omerzeit bis zum Schawuot-Fest.
Allerdings liegt zur Omerzeit nicht die Betonung auf einer grundlegenden Erziehung, sondern vielmehr auf der Perfektion dieser Erziehung.
Über die Norm
In diesem Punkt verbindet sich unser Wochenabschnitt mit den Tagen des Omerzählens. Hier ist nicht die Rede von einer grundlegenden jüdischen Erziehung. Es ist wohl kaum ein spezielles Gebot notwendig, das ein Leben nach jüdischen Werten vorschreibt. Von der grundlegenden jüdischen Erziehung erfahren wir schon bei Awraham, als G-tt ihn für die Erziehung seiner Kinder zu dem Einen G-tt lobt: Denn Ich habe ersehen, dass er es hinterlasse seinen Söhnen und seinem Hause nach ihm. Seitdem ist eine grundlegende jüdische Erziehung selbstverständlich geworden. In unserem Wochenabschnitt ist von einer anderen Art der Erziehung die Rede – es geht um die Perfektion der jüdischen Erziehung!
Wie eine solche Erziehung auszusehen hat, deutet uns der Ausdruck „verwarnen“, den unsere Gelehrten verwendet haben. Das hebräische Wort dafür ist להזהיר, abgeleitet von זוהר – zu Deutsch: Glanz, Licht. Jüdische Kinder sollen jüdisches Licht ausstrahlen! So wie es die Eigenschaft des Lichtes ist die Außenstehenden zu seiner Helligkeit und Wärme anzuziehen, müssen jüdische Werte einen Menschen so durchdringen, dass auch die Außenwelt davon zu spüren bekommt. Der Mensch selbst lebt sein Judentum in Überzeugung, Freude und Lebenslust aus, zieht mit seinem vorbildhaften Verhalten andere an, und begibt sich außerdem zu den Außenstehenden um sie mit dem Licht der Thora zu erwärmen!
Alle sind Kohanim
Eine so ausgeprägte Erziehung hat besonders mit den Kohanim zu tun, deren Aufgabe es ist, durch ihren Priesterdienst das jüdische Volk G-tt näher zu bringen und es auf höhere spirituelle Ebenen zu erheben. Deshalb wird die Perfektion der Erziehung gerade bei den Kohanim erwähnt, denn sie sind die „Großen“, die die „Kleinen“ (uns) beleuchten, damit wir andere beleuchten können!
Somit lehrt uns die Thora, dass die Aufgabe der „Großen“ nicht nur darin liegt den „Kleinen“ eine grundlegende jüdische Erziehung zu vermitteln; es muss eine durchdrungene, lebendige Erziehung sein! Diese erzieherische Position des Kohen kann und soll jeder einnehmen. Ob „klein im Alter“ oder „klein im Wissen“, jedem soll man eine „starke Leuchte“ sein, sodass auch er anderen zur Lichtund Lebensquelle werde!
(Sefer haSichot, Jahrgang 5750, Band 2, Seite 443)
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