Um das Thema „Erziehung“ im Lichte des Judentums zu behandeln, benötigt man unzählige dicke Bücher statt nur einen Artikel, wie er hier abgedruckt ist. Aber er soll ein Denkanstoß sein − über die grundsätzliche Ansicht der Thora in Sachen Erziehung.
In unserem Wochenabschnitt erfahren wir von der Pflicht des Kohen seine Kinder zu erziehen sich vor Unreinheit zu hüten. Das zweimalige Befehlsverb in dem Vers Sprich zu den Kohanim und sage ihnen deutet auf diese Erziehungspflicht hin, wie Raschi erklärt: „Sprich und sage − zu verwarnen die Großen betreffs der Kleinen“.1
Es gibt noch zwei Stellen in der Thora, wo sie zur „Verwarnung der Großen betreffs der Kleinen“ verpflichtet: das Verbot Ungeziefer zu verzehren und das Verbot des Genusses von Blut.
Keine Bange vor Rüpeln
Aus welchem Grund sah es die Thora für richtig an gerade bei diesen drei Verboten die Wichtigkeit der Erziehung zu betonen? Die Antwort ist einleuchtend: Da bei den drei oben genannten Bereichen die Erziehung sich als äußert problematisch herausstellt und dies den Erzieher in seiner Aufgabe einschüchtern, ja sogar verzweifeln lassen könnte, stärkt die Thora seine Hände, dass auch in diesen Fällen die Erziehung möglich ist. Was ist charakterisierend für diese drei Problembereiche?
Den Verzehr von Ungeziefern kennzeichnet, dass sie den Menschen anwidern. Kennzeichnend für den Genuss von Blut war die Besessenheit des jüdischen Volkes nach Blutverzehr (ein Zustand zur Zeit des Auszugs aus Ägypten). Die Vorschriften über die Unreinheit des Kohen (sowie alle anderen Unreinheiten) charakterisiert der Glaube an die Unbegreiflichkeit.
„Insektenfresser“
Daraus lässt sich auf drei wesentliche Erziehungsregeln schließen:
- Wenn der Mensch einen Zustand vor Augen hat, der schändlich ist, oder auf ein widriges, abscheuliches Verhalten stößt, könnte er zum Entschluss kommen, dass in einem solchen Fall selbst der Versuch jeglicher Erziehung Zeitverschwendung wäre. Da lehrt uns die Thora: Selbst bei einem Menschen, der freudig Ungeziefer verzehrt − einem Verhalten, das schon alles aussagt − besteht die Pflicht der Erziehung, welche ihn wieder auf den richtigen Weg führen kann!
- Manche behaupten, dass man jemanden nur dann zu Besserem erziehen kann, solange sein schlechtes Verhalten noch nicht zur Gewohnheit geworden ist. Aber wenn er sein Leben schon Jahrzehnte lang auf gewisse Weise auslebt, kann dies auch die beste Erziehung nicht mehr verändern. In einem solchen Zustand gibt es keine Hoffnung auf bessere Erziehung mehr! Doch die Thora ist anderer Meinung: Das jüdische Volk war nicht nur den Blutgenuss gewöhnt, sondern wortwörtlich von ihm besessen! Dennoch gibt die Thora die Möglichkeit und verpflichtet durch gute Erziehung diese abscheuliche Gewohnheit zu ändern.
Die Erziehung zum Glauben
Einer Ansicht zufolge gilt Erziehung nur bei Dingen, die der Mensch begreifen kann. Aber alles im Bereich des Glaubens steht außerhalb der Kräfte der Erziehung. Wenn jemand z.B. nicht an G-tt glaubt, kann keine Erziehung etwas daran ändern. Die Thora legt fest, dass selbst in Sachen spiritueller Reinheit und Unreinheit − einem völlig unbegreiflichen Zustand − die Pflicht der Erziehung besteht. Also auch Werte, die nur mit dem Glauben zusammenhängen, können durch Erziehung erworben werden; und somit besteht kein Grund dies als Hürde bei der Erziehung zu betrachten; und außerdem ist doch jeder Jude „ein Gläubiger, Sohn von Gläubigen“, und die Erziehung hilft nur dabei dies zu offenbaren.
Diesbezüglich, aber auch für alle anderen Herausforderungen, ist folgender jüdischer Grundsatz prägend: Sobald die Thora etwas gebietet, vermittelt sie uns nicht nur die Möglichkeit das Gebotene zu erfüllen, sondern verleiht uns selbst die Kräfte für die Erfüllung des Gebots! Denn sobald G-tt etwas von uns fordert, verleiht Er auch die Kräfte dafür!
(Likutej Sichot, Band 32, Seite 120)
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