In unserem Wochenabschnitt treffen wir auf den ersten Juden in der Weltgeschichte – Awraham. Noch lange bevor Israel durch das Erhalten der Thora am Sinai zum Volk wurde, wandelte Awraham in den Wegen G-ttes und erfüllte bedingungslos den g-ttlichen Willen. Jener Pfad der Begegnung zwischen G-tt und dem ersten Hebräer begann mit dem ersten Gebot an den ersten Juden: Gehe aus deinem Land und deinem Geburtsort und dem Haus deines Vaters in das Land, das Ich dir zeigen werde. Ist das nicht ein merkwürdiges Gebot? Schon deshalb, weil es nicht einmal den Zielort erwähnt, den wichtigsten Faktor bei einer Reise.
Eigentlich stellt sich aber eine noch viel ernstere Frage: Die Thora erzählt uns doch von dem ersten Gebot an den ersten Juden, dem ersten Wort G-ttes an den Erzvater des jüdischen Volkes! Dementsprechend sollte jene Weisung G-ttes einen zentralen Grundstein des Judentums bilden, den grundsätzlichen Wegweiser im Dienste G-ttes – nicht nur für Awraham allein, sondern für ganz Israel in allen Generationen! Wir sehen aber, dass das Gebot nur von nebensächlichem Inhalt zu sein scheint – die Reise von einem Ort zu einem anderen. Wäre denn nicht für das erste Gebot an den ersten Juden eine lehrreichere Botschaft angemessen?
Hinter dir lassen
Tatsächlich aber bildet dieses Gebot, auf seine besondere Weise, den zentralen Kern in der Beziehung zwischen G-tt und dem Juden. Denn darin liegt die Besonderheit des jüdischen Volkes: Obwohl es sich in dieser Welt befindet und ihren Gesetzen und Normen unterworfen ist, obwohl jeder Jude angeborene Eigenschaften in sich trägt und verschiedenen Einflüssen unterliegt – ist ihm dennoch die Kraft gegeben nach etwas Höherem zu streben. Dabei kann er seine eigene „Natur“ überwinden und empor steigen, bis zur Verbindung mit dem unendlichen G-tt.
Diese Kraft wurde dem jüdischen Volk durch jenes Gebot zu Eigen: Lech Lecha – Verlasse. Mit diesem Gebot verkündet G-tt Awraham seine Aufgabe (und Möglichkeit) „alles beiseite schieben zu können“ für das Erfüllen des g-ttlichen Willens.
Drei Hürden
Drei Einzelheiten erwähnt der Vers, welche auf die verschiedenen Hürden hinweisen, die der Jude bei seiner Aufgabe zu überwinden hat: dein Land – das sind die natürlichen Eigenschaften, mit denen der Mensch geboren wird, der Grundboden seines Wesens; dein Geburtsort – symbolisiert die Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die der Mensch von seinem Umfeld erworben hat; das Haus deines Vaters – die Erziehung des Elternhauses. Jene drei Bereiche bilden die Formung der Persönlichkeit des Menschen.
G-tt gebietet dem Juden: Gehe aus deinem Land, deinem Geburtsort, deines Vaters Haus – entziehe dich allen Einflüssen, die bis jetzt dein „Ich“ bildeten. An dir liegt es nun über deine begrenzte Natur, gesellschaftlichen Normen und Erziehung hinaus zu gehen, deine Gewohnheiten zu überwinden; und all das wozu? – Um das Land, das Ich dir zeigen werde zu erreichen!
Ich kann nicht?
G-tt verkündete Awraham nicht wohin und in welches Land er gehen sollte. Aber eines war klar: in das Land, das Ich dir zeigen werde. Denn an dem Juden liegt es G-tt anzuhängen, bis zur absoluten Hingabe und in der Bereitschaft jede Aufgabe, die G-tt ihm verkündet, zu erfüllen! Und die Kraft dazu ist ihm gegeben!
Das ist das erste Gebot – die Zusammenfassung der jüdischen Philosophie auf einen Punkt gebracht: die Möglichkeit seine eigenen Ketten zu sprengen, um etwas Höherem, dem unendlichen G-tt, anzuhängen! Der Spruch „Ich kann nicht“ gehört nicht zu dieser Philosophie. Und jene Weisung richtet sich an jeden Juden, denn sie steht im Mittelpunkt der Verbindung zwischen G-tt und dem Menschen.
Mit dem Fortschreiten in den Fußstapfen Awrahams erreichen wir schließlich das Land, das Ich dir zeigen werde – in seiner absoluten Bedeutung, nämlich die endgültige Erlösung!
(Aus Sefer haSichot, Jahrgang 5750, Band 1, Seite 96)
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