Drei jüdische Großmütter sitzen auf einer Parkbank in der Delancy Street. Beatrice sagt strahlend: „Mein Sohn, der Arzt, liebt mich über alles. Er hat mir doch tatsächlich eine Eigentumswohnung in Miami Beach gekauft und eine Lincoln Continental in Florida.“
„Oh, das ist noch gar nichts,“ antwortet Sue, „mein Sohn fährt jedes Jahr mit mir in sehr exotische Ferien.Wir kommen gerade von einer Kreuzfahrt in Spanien zurück.“
„Wirklich beeindruckend,“ wirft July, die dritte jiddische Mamme ein, „aber ihr müsst euch unbedingt anhören, was ich für einen Sohn habe. Jede Woche zahlt er 500 $ für eine Sitzung bei seinem Therapeuten, und stellt euch vor, er nutzt die gesamte Stunde, nur um über MICH zu sprechen!“
Während die Debatte Gene versus Erziehung immer noch andauert, teilen beide Seiten eine grundlegende Voraussetzung, nämlich dass es eine starke Kraft gibt, die unsere Entscheidungen kontrolliert, oder zumindest beeinflusst. Komme ich stets zu spät, aufgrund meiner genetischen Eigenschaften, oder weil meine Mutter ständig hinter mir stand? Obgleich die männliche Psyche ein offenes Buch ist, bleibt die Frage, in welchem Ausmaß unsere Entscheidungen unserer Kontrolle unterliegen. Wem kann ich Vorwürfe machen? Wo fängt meine eigene Entscheidung an?
Die Tora beschäftigt sich mit diesem komplexen Thema aus verschiedenen Gründen. Glaube und Mitgefühl wurden uns zur Kraft unserer inneren Lebenswelt gegeben. Gleichzeitig sind Haftung und Verantwortung zwei der wichtigsten Grundsätze jüdischer Philosophie. Deuteronomium 21:1-9 sendet uns eine deutliche Botschaft über die Schuldfrage.
Dazu ein Gleichnis: Wenn ein Mann tot in einem leeren Feld aufgefunden wird, und wir nicht wissen, wer ihn umgebracht hat, sollen die Ältesten aus der Stadt, die sich nahe dem Ort befindet, ein junges Kalb schlachten und ausrufen: „Unsere Hände haben dieses Blut nicht vergossen, noch haben unsere Augen gesehen, was passiert ist. Dies soll eine Sühne sein für unser Volk, Israel, das G-tt erlöst hast, und vergieße kein unschuldiges Blut unter deinem Volk Israel.“
Auf einem solchen grundlegenden Level demonstriert diese Mizwa die Haftung der örtlichen Führungspersönlichkeiten für einen unbekannten Toten. Dies verhindert eine Zerstreuung der Verantwortung, wie sie sehr leicht in einer Gesellschaft geschehen kann.
Doch es gibt auch eine verborgene Geschichte. Dies ist die Geschichte unseres Lebens. Der tote Mann, der im leeren Feld gefunden wird, repräsentiert einen Mann, der seinen schlechten Neigungen zur Beute gefallen ist. Das Böse in ihm bringt die g-ttliche Gegenwart um und er wird an einem leeren Ort zurückgelassen, vollkommen seiner Orientierung und seiner Inspiration beraubt. Die Tora sagt, er soll seine Augen zu G-tt erheben und sagen: “Meine Hände haben dieses Blut nicht vergossen. Dieses Netz von Sünden, in das ich gefallen bin, ist nicht meine Schuld, denn Du bist es doch, G-tt, der meine Seele herunter gezogen hat aus ihrem erhabenen Wohnsitz im Himmel zur materiellen Welt. Es ist wirklich DEIN Fehler. Und genau deshalb kann ich Dich auch danach fragen, für mich zu sühnen.“
Eine echte jüdische Chutzpe!
Das erscheint wie die ultimative Methode, sich der eigenen Verantwortung zu entziehen: Es ist doch alles G-ttes Schuld. Lass ihn die Schuld auf sich nehmen. Aber hör auf die Folgen diese Worte! Der Sünder sagt: „So bin ich eigentlich gar nicht wirklich! Ich bin ein perfektes und spirituelles Wesen. Dieser scheußliche Kurs - das bin ich gar nicht wirklich. Mein wahres Ich, meine Seele, ruft schamlos zu G-tt: “Du musst mir gestatten, mich wieder mit Dir zu verbinden!“
Vielleicht ist die wahre Botschaft, die verschiedenen Herausforderungen anzuerkennen, die unsere innere und äußere Größe stimuliert. Sie wurden uns von G-tt gegeben. Wir müssen G-tt rufen, aus unserem tiefsten Inneren. und ihn um Kraft bitten, nicht trotz unserer Herausforderungen, sondern wegen ihnen.
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