Wir weinen auf Beerdigungen – aber warum weinen wir auch auf Hochzeiten? Weinen ist natürlich kein Produkt der Logik. Trotzdem sind die Gründe, warum wir weinen, nicht unlogisch.

Wir weinen selten über die Vergangenheit und häufiger über die Zukunft. Wir weinen auf Beerdigungen, weil wir daran denken, dass der Verstorbene nicht mehr bei uns sein wird. Und wir weinen auf einer Hochzeit, weil wir Zeuge eines der glücklichsten Momente im Leben sind – und weil wir wissen, dass die traurigen Augenblicke in diesem Leben zahlreicher sein werden. Oder wir weinen, weil wir uns darüber Sorgen machen, ob die Brautleute einhalten können, was sie heute versprechen.


Im Wochenabschnitt Wajigasch ist Josef in Ägypten wieder mit seinen Brüdern vereint. Als er den jüngsten, Benjamin, begrüßt, weinen sie beide. Die Weisen erläutern, Josef habe, metaphorisch betrachtet, um die beiden heiligen Tempel geweint, die in Benjamins Land zerstört werden sollten, und Benjamin habe um die Stiftshütte geweint, die in Josefs Land zerstört werden sollte.

Warum weinten sie für den anderen und nicht für sich selbst? Im Grunde weinen wir, damit wir uns besser fühlen. Selbst wenn wir durch das Weinen nichts ändern, geht es uns hinterher besser. Aber wenn wir etwas ändern können, sollten wir nicht weinen, sondern handeln.

Was Josef und Benjamin betrifft, so konnten sie etwas gegen ihre eigene Tragödie tun, aber sie konnten dem anderen nicht helfen. Wenn wir getan haben, was wir können, um einen Freund spirituell zu stärken, weinen wir, wenn seine Spiritualität immer noch zu wünschen übrig lässt.

Aber wenn wir in die eigene Seele schauen und Fehler entdecken, nützt Weinen nichts. Dann müssen wir den Fehler beseitigen. Es ist verständlich, wenn wir uns um andere sorgen; aber Selbstmitleid ist sinnlos. Wenn wir um uns selbst weinen, weigern wir uns zu handeln oder – schlimmer noch – wir beschuldigen andere.

Dürfen wir nie traurig über unser Unglück sein? Doch, weil die Torah anerkennt, dass wir uns um unser eigenes Leben mehr kümmern müssen als um das Leben eines Freundes.

Aber unser Kummer muss die Quelle von Taten sein, denn nur die Tat kann uns vor den Tragödien des Lebens bewahren.