Es war ein kühler, windiger Tag, als der Baal Schem Tow in seine Kutsche stieg. Wie üblich ließ er die Pferde laufen, wohin sie wollten. Sie sollten ihren Herrn in ein kleines Dorf bringen, wo der Zadik seine Mitjuden mit seiner Begeisterung für G-tt anstecken wollte. Bald hielten die Pferde in einem Weiler, der sich mitten in einem dichten Wald befand und von bestellten Feldern umgeben war.

Die Juden in diesem Ort arbeiteten hart, wussten wenig über die Tora und hatten jeden Tag nur ein paar Minuten Zeit für ihre Gebete, die sie kaum verstanden. Der Baal Schem Tow empfand Liebe und Mitleid für diese Juden. Darum unternahm er solche Reisen. Er wollte diesen Menschen spirituelles Licht bringen und ihre Gedanken zu G-tt führen.

Ein Dorfbewohner war allerdings ein reicher Grundbesitzer, der an eben diesem Tag die Bar Mizwa seines Sohnes feierte. Als der Mann hörte, dass ein berühmter Zadik angekommen sei, spannte er rasch die Pferde vor den Wagen und fuhr zu ihm, um ihn zur großen Feier zu geleiten.

Der Baal Schem Tow nahm am Kopfende des Tisches Platz und wurde ehrerbietig begrüßt. Aber seine Blicke wanderten zu den gefurchten Gesichtern und schwieligen Händen der jüdischen Bauern, die ebenfalls eingeladen waren. Er erzählte wundersame Geschichten und Gleichnisse aus dem Midrasch und fesselte damit die Anwesenden. Dann begann er mit seiner wohlklingenden Stimme karpatische Lieder zu singen, wie die jungen Viehhüter sie auf den Bergweiden zum Besten gaben. Es war anrührend, wie die traurigen und erschöpften Gesichter der Bauern sich aufhellten, während ihnen Tränen über die Wangen liefen.

Dem reichen Grundbesitzer gefiel das nicht. Warum widmete sich sein Ehrengast nur diesen ungebildeten Bauern und kümmerte sich nicht um ihn? Er beschloss, sich am Baal Schem Tow zu rächen, und verkündete: „Liebe Freunde, der Höhepunkt dieses Festes ist eine Rede meines Sohnes, des Bar-Mizwa-Knaben, in Gegenwart unseres hochgeschätzten Gastes, eines Rabbiners aus der Stadt, der mit uns feiern wird. Nur vor einem so prominenten Raw soll er seine Rede halten.“ Dem Baal Schem Tow entging die Beleidigung nicht, aber er schwieg und unterhielt sich mit dem Knaben über verschiedene spirituelle Themen. Dabei wanderte sein spiritueller Blick an einen fernen Ort jenseits der grünen Felder und Wälder des Dorfes. Plötzlich brach er in fröhliches Gelächter aus. Alle Männer und Frauen im Saal stimmten in das Lachen ein, und sogar die Tiere auf dem Hof machten mit. Auf einmal hörte man die Räder einer Kutsche quietschen. Das war der reiche Hausherr mit dem Rabbiner aus der Stadt, dem sehnlichst erwarteten Ehrengast. Als sie hereinkamen, überraschte sie das Gelächter im Saal. „Was ist denn hier los?“, fragte der Grundbesitzer. Als wieder Ruhe herrschte, erklärte der Baal Schem Tow:

„Weit weg von hier, in einem einsamen Dorf, lebt eine Witwe mit ihrem einzigen Sohn. Heute feiert auch er seine Bar Mizwa, und obwohl er nichts über die Tora weiß und nie unter Juden gelebt hat, besitzt er ein Paar Tefillin, die sein Vater ihm hinterließ. Er legte sie an, und seine Mutter erklärte ihm den Brauch, in die Synagoge zu gehen und zur Tora gerufen zu werden. Doch leider konnte der arme Kerl diesem Brauch nicht folgen. Er ging in die Scheune, versammelte alle seine geliebten Tiere, die er so gut versorgte, und stellte aus ihnen einen ‚Minjan‘ zusammen. Dann verkündete er laut: ‚Heute bin ich ein Bar Mizwa!‘ Die Tiere antworteten mit einer Kakophonie aus „Muh“, „Oink“ und „Gluck-gluck“. Als die himmlischen Heerscharen diese seltsame, aber rührende Bar-Mizwa-Feier sahen, lachten sie so herzlich, dass ihr Lachen durch das Universum hallte, bis es den heiligen Thron G-ttes erreichte und g-ttliche Freude auslöste. Darum ist jetzt eine günstige Zeit für die Rede des Knaben; denn die Tore des Himmels sind geöffnet.“