Reb Alexander Sender war ein Chassid des Alter Rebbe (Rabbi Schneur Salman, Gründer der Chabad-Chassidim). Aus beruflichen Gründen musste er gelegentlich ins Ausland reisen. Als der Alter Rebbe ihn einmal fragte, warum er keine Geschäfte in Galizien (Polen) machte, verstand er das so, dass er dort hingehen sollte – und das tat er sogleich.

Weil dies sein erster Besuch in jener Gegend war, erkundigte er sich nach einer Unterkunft mit Verpflegung. Man sagte ihm, es gebe eine Herberge, die von jüdischen Reisenden häufig besucht werde, weil man das Essen dort nach den strengen Regeln des Kaschrut zubereite. Die Wirtin sei die Tochter des verstorbenen Rabbiners der Stadt; sie habe einen scharfen Verstand und einen guten Charakter wie ihr Vater, und die Leiter der Gemeinde hätten sie mit einem Tora-Gelehrten am Ort verheiratet. Ihr Heim sei koscher nach den allerstrengsten Regeln. Reb Alexander beschloss, dort abzusteigen.

Doch als er einen Boten schickte, um alles zu regeln, erfuhr er, dass der Mann der jungen Frau vereist sei und sie ihm daher nicht erlauben könne, im Haus zu wohnen. Erst als sie hörte, dass ihn zehn andere Leute begleiteten, nahm sie ihn auf. Am Freitagabend setzten sich Reb Alexander und seine Geschäftsfreunde – alles hervorragende Chassidim des Alter Rebbe – zum festlichen Schabbatmahl nieder. Im ganzen Haus waren ihre fröhlichen chassidischen Lieder und Smirot (spezielle Schabbat-Gesänge) zu hören. Plötzlich hörte Reb Alexander jemanden weinen. Er folgte dem Laut und fand die junge Frau mit Tränen in den Augen im Nebenzimmer. Als er fragte, warum sie weine, sagte sie, sie habe noch nie einen so bewegenden Schabbat erlebt, seit ihr frommer Vater gestorben sei. Die Lieder ihrer Gäste hatten sie an ihren Vater erinnert, den sie immer noch sehr vermisste.

Während des Gesprächs gestand sie ihm, dass sie sich als jüdische Mutter große Sorgen um ihren 7-jährigen Sohn mache; denn in Galizien war es damals verboten, Kinder zum Cheder (religiöser Kindergarten/Vorschule) zu schicken. Sie fragte, ob die Russen ebenso streng seien, und Reb Alexander erwiderte: „Keineswegs. Die Behörden mischen sich nicht in solche Dinge ein. Wir dürfen unseren Kindern die beste jüdische Erziehung geben.“

Die Frau bat Reb Alexander inständig, ihren Sohn mit nach Russland zu nehmen, damit er die Tora studieren konnte. „Ist dein Mann damit einverstanden, das Kind so weit fortzuschicken?“, fragte Reb Alexander. Sie versicherte ihm, nichts sei ihnen beiden wichtiger, als dass ihr Sohn in einer Jeschiwa lerne und als Jude aufwachse. Jetzt begriff Reb Alexander, warum der Alter Rebbe ihm geraten hatte, in dieser Stadt Geschäfte zu machen. Er schrieb in seinen Pass, der Knabe sei sein Sohn, und so begleitete der kleine Elchanan die Gruppe nach Russland. Dort lernte er in der Jeschiwa, zeichnete sich im Unterricht aus und gründete später eine Familie g-ttesfürchtiger Juden.