Über 200 Jahre lang waren die Israeliten unterdrückt worden, von einer mächtigen Nation, die ihre Herrschaft über alle benachbarten Völker ausgedehnt hatte, nicht nur mit Waffengewalt, sondern auch durch ihre gewaltige Überlegenheit in Wissenschaft und Technologie, in der Tat in allen Dingen, die man heute als "Kultur" und "Zivilisation" bezeichnet.
Die Zivilisation der Ägypter stützte sich auf die Kräfte der Natur und natürliche Phänomene; dazu gehörte insbesondere der Nil. Es regnet selten in Ägypten, aber menschlicher Erfindergeist hatte ein vorzügliches Bewässerungssystem geschaffen. Dadurch wurde Ägypten in eine blühende Oase umgewandelt, während ringsumher nur Wüste war.
Gleichzeitig, und dadurch hervorgerufen, entstand eine Kultur von Götzendienst, welcher zwei hauptsächliche Merkmale aufwies: einmal die Vergötterung der Naturkräfte, und zum zweiten die Vergötterung des Übermenschen, dem es gelungen war, die Naturkräfte für seine eigenen Zwecke zu bändigen. Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt zur Vergötterung des Pharao, der das ägyptische Ideal des Übermenschen personifizierte.
Dieses System, welches die Welt einfach als eine Anhäufung von Naturkräften ansah (eines davon das menschliche Element), war verbunden mit einer Philosophie, der der Vers in der Tora (Deut. 8, 17) beredten Ausdruck gab: "Meine Macht und die Stärke meiner Hand haben für mich diesen Reichtum geschaffen." Diese Einstellung musste zu einem Heidentum extremsten Ausmaßes führen, und dies war dann ihre "Rechtfertigung" für die Versklavung und schwere Unterdrückung der Schwachen und der Minderheiten in der Gesellschaft.
Die kultischen Riten der Ägypter erreichten ihren Höhepunkt alljährlich zu der Zeit, da die Naturkräfte aus ihrem "Winterschlaf" erwachten, also i, Frühlingsmonat, dessen Tierkreiszeichen der Widder (Aries) war. Gerade dieses war, als ein heidnisches Symbol, den Ägyptern besonders geheiligt.
Da denn war Moses' Auftreten geradezu dramatisch. Ganz plötzlich stellte er sich ein, mit der Ankündigung G-ttes (Exodus 3, 16): "Ich habe Mich ganz gewiss eurer bedacht." Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, für den der G-tt Abrahams, Isaaks und Jakobs die Befreiung der Israeliten aus Pharaos Knechtschuft und dem ägyptischen Exil vorausbestimmt hatte. Dafür aber war eine Bedingung zu erfüllen (Exodus 12, 21): "Zieht euch zurück und nehmet für euch ein Lamm, für eure Familien, und schlachtet das Pessachopfer."
Dies war der Befehl. "Ziehet euch zurück" –, das hießt, zieht hinaus und trennt euch vom Götzenkult dieses Landes. "Nehmt für euch ein Lamm" – nehmt genau das Symbol eines ägyptischen Götzen und bringt dieses dar als ein Opfer für G-tt. Es genügte nicht, dem Götzendienst innerlich abzuschwören, in ihren Herzen. Sie mussten es auch nach außen hin bezeugen, offen, ohne Furcht, so wie es ihnen hier aufgegeben wurde.
Wenn sie dieses tun würden, so versicherte Moses ihnen im Namen G-ttes, würden sie nicht nur aus Ägypten befreit werden, sondern Pharao selbst würde sie drängen, das Land zu verlassen – und dies nicht dann, wenn die Naturkräfte ruhten und latent waren, sondern im Frühlingsmonat, wenn sie sich am meisten entfalteten.
Und eben dadurch manifestierten und bezeugten die Israeliten, dass die Welt nicht lediglich eine Anhäufung von Naturkräften ist, noch ein Dualismus von Natur und Übernatur besteht, wo dann Natur und Geist miteinander um Vorrang ringen. Vielmehr bekundeten sie durch ihr Handeln, dass es Einen und nur Einen G-tt gibt, der allein Herr der Welt ist, in Seiner Einzigkeit.
Höchster Ausdruck wurde dieser Tatsache bei der Offenbarung der Tora am Sinai verliehen, in den Anfangsworten der Zehn Gebote: "Ich bin der Ewige, der dich aus Ägypten herausgeführt hat. Du sollst keine anderen Götter haben ..." Sogar heute haben die Götter Ägyptens ihre Nachkommen und Nachfolger; es gibt Menschen, die die Naturkräfte weiterhin vergöttern und sagen: "Meine Macht und die Stärke meiner Hand haben für mich diesen Reichtum geschaffen." Da denn kommt Pessach mit dieser Mahnung: "Ziehe dich zurück" von dieser Art von Götzenkult; und tue es offen, furchtlos und mit Würde, Tue es im "Frühlingsmonat", dem Zeitpunkt des größten Gedeihens, wenn Technologie und die Vergötterung menschlicher Errungenschaften ihren Höhepunkt feiern wollen.
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