Freude, so berichten alte jüdische Quellen, ist das Wunderelixier, mit dessen Hilfe alle Hürden des Lebens gemeistert werden können, wie schon Rabbi Nachman sagte: Menschen sind betrübt, weil nichts so läuft, wie sie es gerne hätten - und bemerken nicht, dass es nicht läuft, weil sie betrübt sind. Doch wie kann der realitätsbezogene Mensch in Zeiten, in denen die Welt so bedrohlich ausschaut, Freude empfinden?

  1. Weil es eine gute Methode ist, Dinge zu erledigen. Um den chassidischen Klassiker „Tanja“ zu zitieren: „So wie im Fall von zwei miteinander ringenden Menschen, die versuchen, einander zu Fall zu bringen; wenn sich der eine träge und schwerfällig bewegt, kann er leicht besiegt und zu Fall gebracht werden, auch wenn er stärker als sein Gegner sein sollte. Dasselbe gilt für den Sieg über den bösen Trieb: Man kann ihn ausschließlich überwältigen ... mit Wendigkeit, die von Freude und einem offenen Herzen stammt, das rein von jeglichem Anzeichen der Sorge und der Trübsal ist.“ Gilt für Wettkampf-Ringen, moralische Schlachten und alles dazwischen.
  2. Weil es eine gute Sache ist. Warum sollte Freude nur ein Instrument sein, ein Mittel zum Zweck? Es ist eine gute Sache per se, eine angenehmere Form des Lebens. Und es ist gar nicht so schwer, sie zu erreichen. Man konzentriere sich auf all die guten Dinge, die man hat und an denen man Anteil hat, und darauf, wie echt und bleibend diese Dinge sind im Vergleich mit all den nicht-so-guten-Dingen. Und wenn die letzteren derzeit die Bühne des Lebens besetzen, gehören sie dort nicht hin. Wirf sie raus und bring die wahren Hauptdarsteller rein.
  3. Weil es eine fröhliche Zeit ist. Fröhlich zu sein erfordert manchmal Einsatz (siehe Punkt 2). Aber es gibt Zeiten, da liegt die Freude in der Luft, und alles was man tun muss, ist, sich dem zu öffnen. Wir befinden uns jetzt in einer solchen Zeit. Unsere Weisen sagen uns: „Wenn der Monat Adar beginnt, nimmt die Freude zu.“ Wie Haman am eigenen Leib erfuhr, ist das eine Zeit, in der dem jüdischen Volk gute Dinge zustoßen. Man muss gar nichts dafür tun - es reicht aus, sich nicht dagegen zu sträuben.
  4. Weil es ist, was ich bin. Dieser Punkt ist nicht wirklich ein „Grund“, sondern eher ein untrennbarer Teil unseres Seins. Die Kabbalisten lehren, dass unsere Seele „buchstäblich ein Teil G-ttes“ ist. Freude ist also letzten Endes keine Technik, die man zu beherrschen lernt, kein Ziel, das man erreicht, nicht einmal ein atmosphärischer Zustand, dem man sich hingibt. Es ist, was wir sind, vermöge unserer Verbindung mit dem Einen, dem „Kraft und Freude an Seiner Stätte“ sind1. Warum sollten wir uns vor dem verstecken, was wir sind?

Die Wissenschaft, so sagt man, beschreibt den Prozess, durch den etwas entsteht, während die Tora beschreibt, warum dieses Objekt existiert. Anders ausgedrückt, befasst sich die Wissenschaft mit der äußeren Hülle eines Phänomens, während die Tora die innere Dimension behandelt. Was also sagt die Tora über die Freude und das Lachen?

Der Talmud2 hält fest, dass der große Gelehrte Rava seine Vorträge stets mit einem Scherzwort begann, „die Schüler wurden heiteren Gemüts“ – und waren besser in der Lage, den Ausführungen des Meisters zu folgen. Humor, so weiß man aus der Psychologie, ist das Wundermittel, das den Geist eines Menschen aus dem Gefängnis des begrenzten Bewusstseins führt. Begrenztes Bewusstsein ist der verständliche Impuls, Dinge ein bisschen zu wörtlich zu nehmen, der Glaube, dass sie nicht Teil eines größeren Bildes sind. Davon befreit, sieht der Mensch die Gesamtheit der Schöpfung vor sich. Er sieht G-ttes Gegenwart und Seine Hilfe in allem, was passiert, egal ob er es im Moment versteht oder nicht. Das ist die großartige Macht des Humors – jemanden aus Missmut und Mutlosigkeit herauszuholen an einen Ort, wo das Ungesehene – das große Bild – echt und greifbar wird. Und so erklärt der Kotzker Rebbe den Vers „In Freuden sollt ihr ausziehen“3: „Das Besondere an der Freude ist, dass sie über die Kraft verfügt, den Menschen aus all seinen Schwierigkeiten zu befreien.“

Eine der großen Überraschungen für mich, als ich begann Tora zu lernen, war die zentrale Bedeutung der Freude in unserer Religion: Die chassidische Revolution hat die Freude zurück an die Spitze der jüdischen Werte gebracht. So wie viele dachte ich, dass die Tora im Grunde eine intellektuelle Disziplin ist, und erfuhr, dass es auch eine starke emotionale, eine menschliche Komponente gibt. Und die ist in der Tat unerlässlich für ein lebendiges Judentum, für ein gelebtes Leben. Wenn Freude bedeutet, Kontakt mit dem größeren Bild zu halten, dann ist Lachen die Reaktion auf diesen Kontakt und seine Offenbarungen. Auch im Comedy-Geschäft weiß man, dass der sicherste Weg, einen Lacher zu bekommen, das Nebeneinanderstellen von Erwartetem und Unerwartetem ist. Wenn wir überzeugt sind, dass die Welt auf eine ganz bestimmte Art funktioniert und das Gegenteil eintritt, ist das Resultat Gelächter. Auch über die messianische Ära heißt es, dass „sich unsere Münder mit Lachen füllen werden“4. Warum? Weil Lachen in seiner tiefsten und reinsten Form unsere Reaktion auf die Erkenntnis ist, dass die Welt unendlich schöner und fabelhafter sein kann, als wir jemals für möglich hielten. Wenn wir das verstehen, dann sind wir jetzt schon bei der ultimativen Pointe, beim besten Witz aller Zeiten.