Der weise Rabbi Abba liebte sein Volk sehr und ermunterte es auf seinen Reisen, die heilige Tora zu studieren. Eines Tages besuchte er eine Kleinstadt ohne Toragelehrte. Die meisten Einwohner waren unwissend. Rabbi Abba hatte Mitleid mit ihnen und beschloss, ihnen zu helfen. Eines Morgens ging er in die Synagoge und verkündete: „Alle, die reich werden und in der anderen Welt leben wollen, sollen kommen und mit mir die Tora studieren!“ So erregte er großes Interesse, und viele Leute kamen. Da er ein gütiger und vorzüglicher Lehrer war, bildete sich ein Kreis aus eifrigen, fleißigen Schülern.
Eines Tages kam ein Neuer. Der intelligent aussehende junge Mann sagte zu Rabbi Abba: „Ich hörte von deinem Versprechen, dass jeder reich wird, der die Tora studiert, und ich möchte mitmachen, damit ich reich werde!“
„Wunderbar“, erwiderte der Rebbe. Natürlich hatte er nicht materiellen, sondern spirituellen Reichtum gemeint. Aber er war überzeugt, dass er junge Mann bald selbst zu dieser Einsicht gelangen würde, wenn er die Tora ernsthaft studierte. „Wer bist du, wie lautet dein Name?“, fragte er.
„Ich lebe in dieser Stadt und heiße Josai“, antwortete der Mann.
„Schön, Josai, du bist willkommen in unserer Gruppe. Von heute an bist du Josai der Sieger.“ Josais Gesicht leuchtete, und er dachte an Gold. Jeden Morgen erschien er pünktlich, um bei Rabbi Abba zu studieren. Er lernte leicht, und der Rabbi sah, dass aus diesem jungen Mann etwas Großes werden konnte.
Eines Tages war Josai nicht er selbst. Während der ganzen Stunde schaute er lustlos aus dem Fenster. Nach dem Unterricht fragte Rabbi Abba ihn: „Mein Sohn, was ist heute mit dir los? Ich habe deine Fragen vermisst. Du warst heute so abwesend!“ „Rabbi, ich habe wochenlang fleißig studiert und trotzdem nicht den Reichtum erworben, den Ihr mir versprochen habt“, sagte Josai vorwurfsvoll. Rabbi Abba war traurig, denn er hatte gehofft, Josai liebe die Tora inzwischen so sehr, dass er sie um ihretwillen studierte. Aber er wollte nicht, dass Josai aufhörte, und darum erwiderte er: „Mein Sohn, du lernst sehr gut. Sei geduldig und mach weiter. Ich bin sicher, dass du eines Tages reich sein wirst.“
Nach diesen aufmunternden Worten fühlte Josai sich besser und setzte das Studium fort. Aber Rabbi Abba machte sich Sorgen. Würde er lange genug lernen, um sein großes Potenzial zu verwirklichen, oder würde er aufgeben, weil er keinen materiellen Lohn erhielt? Eines Nachmittags saß Rabbi Abba allein über seinen Pergamenten, als sich ihm ein fremder, gut gekleideter Mann näherte.
„Seid Ihr Rabbi Abba?“, fragte er. „Ja, wie kann ich dir helfen?“
„Rabbi, ich habe gehört, dass Ihr ein großer Gelehrter seid, und ich hoffe, Ihr könnt mir helfen. Ich bin sehr reich, hatte aber nie Gelegenheit, die Tora zu studieren. Jetzt bin ich sehr beschäftigt und habe keine Zeit, in diesem späten Stadium meines Lebens mit dem Studium zu beginnen. Darum möchte ich jemanden dafür bezahlen, dass er an meiner Stelle lernt. Hier ist ein Goldpokal, der sehr wertvoll ist. Ich besitze elf weitere goldene Kelche, und jeder, der für mich lernen will, soll einen bekommen.“
Rabbi Abba nahm das Angebot gerne an. Sofort ließ er Josai rufen und stellte ihn dem reichen Mann vor. Er erklärte die Bedingungen, und Josai stimmte natürlich erfreut zu. Beide Partner waren zufrieden. Josai studierte immer eifriger, bis er sich kaum noch von den heiligen Texten trennen konnte. An das Gold dachte er kaum noch. Eines Abends hörte Rabbi Abba erschrocken, dass Josai in seiner Ecke der Studienhalle weinte. „Was ist geschehen? Warum weinst du?“, fragte er. Er fürchtete, sein Schüler habe schlechte Nachrichten erhalten. „Rabbi, ich halte es nicht mehr aus! Ich verabscheue den Gedanken, dass ich G-ttes Tora für Geld studiere. Anfangs hat mich nur das Geld interessiert; nun aber verstehe ich viel mehr und weiß, dass mein wahrer Lohn das Wissen selbst ist. Ich habe so viel gewonnen und fühle mich wie neu geboren. Ich komme mir vor wie ein Dieb, der Geld für seine geliebte spirituelle Arbeit nimmt. Ich war ein Narr, als ich den Vertrag schloss. Wenn ich ihn doch nur aufheben könnte!“
Rabbi Abba unterdrückte Tränen der Freude, denn er sah, dass sein bester Student echte Fortschritte gemacht hatte. Seine Gier nach Reichtum war verschwunden und echter Liebe zur Tora gewichen. Rabbi Abba rief den reichen Mann und sagte: „Du hast dir durch deine Absprache mit Josai großen Verdienst an der Tora und den Mizwot erworben. Doch nun ist es Zeit, deinen Reichtum mit einem anderen armen Schüler zu teilen. Ich helfe dir, ihn zu finden. Wisse, dass dieser Vertrag für dich ein großer Erfolg war!“
Als Josai hörte, was sein Rabbi und Lehrer für ihn getan hatte, war er überglücklich. Er setzte sein Studium bis zum Ende seines langen Lebens fort und unterrichtete seine Kinder und Enkel in der Tora. Man nannte ihn „Josai, den Goldenen“, weil er sein Gold gegen die Tora eingetauscht hatte.

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