Chaim war damals Schüler der zentralen Chabad-Jeschiwa in New York. Jeden Freitag widmete er einige Stunden anderen Juden, um mit ihnen Tefilin zu legen. Nicht nur Chaim war darin tätig, sondern auch seine Freunde. Die jungen Jeschiwastudenten teilten sich auf, wobei jede Gruppe ein anderes Revier aufs Korn nahm. Chaims Gruppe gelangte nach Manhattan. Dort versuchten sie jedes Mal ihr Glück bei zahlreichen Nobelbüros. Sie wurden normalerweise recht angenehm empfangen. Doch an einem Ort waren sie gar nicht willkommen; es handelte sich um eine jüdische Rechtsanwaltskanzlei: Die Angestellten taten, als wären sie zu sehr beschäftigt, um Chaim und seinen Freunden einen kleinen Moment ihrer Aufmerksamkeit zu schenken. Diejenigen, welche einverstanden waren Tefilin anzulegen, wurden von ihrem Chef zur Rede gestellt. Wenn die Jeschiwa-Studenten dort zu einem ungünstigen Zeitpunkt eintrafen, und der Boss höchstpersönlich in der Eingangshalle stand, wurden sie ziemlich schnell abgewimmelt. Der Chef tat dies sehr geschickt und unauffällig: Sobald er die Studenten kommen sah, gab er der Sekretärin ein Handzeichen. Woraufhin sie die Besucher höflich bat, die Kanzlei zu verlassen. So verlief das ein halbes Jahr lang; aber die Stundeten ließen sich nicht unterkriegen. Sie versuchten ihr Glück immer wieder, geduldig und entschlossen.

Eines Tages, als Chaim und seine Gruppe auf den Zug nach Manhattan warteten, begegneten sie einem mexikanischen Händler. „Mein Herr! Ich habe hier eine schöne Krawatte, die Ihnen sicherlich wunderbar stehen würde!“ sagte er mit einem charmanten Lächeln. „Nein, danke“ erwiderte Chaim. „Ich bin kein Krawattenträger.“ Doch der Mexikaner ließ nicht locker: „Nein! Sie brauchen unbedingt Eine! Ein so wichtiger Mann mit einem weißen Hemd wie Sie es sind ... Das Einzige, was fehlt, ist diese Krawatte! Ich mache Ihnen sogar ein Freundschaftsangebot: fünf Dollar statt sieben!“

„Es tut mir leid, aber ich bin daran nicht interessiert!“ antwortete Chaim entschlossen, um das Gespräch zu beenden. Doch der Mann blieb hartnäckig „Aber Sie verstehen nicht ... Diese Krawatte ist genau das Richtige für Sie! Sie würde ihren besonderen Charakter nur noch deutlicher hervorheben!“ Chaim und seine Freunde verstanden, dass der Händler keine Ruhe geben würde, bis sie ihm die Krawatte abkauften. Schließlich rückte jeder einen Dollar raus, um die Nervensäge loszuwerden. Doch damit war es nicht zu Ende. „Mein lieber Herr, ich haben Ihnen die Krawatte nicht zum Spaß verkauft! Sie müssen sie auch wirklich tragen! Damit werden Sie viel besser aussehen, glauben Sie mir!“ Noch bevor Chaim überhaupt reagieren konnte, band der Händler die Krawatte Chaim um den Hals. „Ausgezeichnet, jetzt passt es!“ sagte der Mann voller Zufriedenheit. Schließlich fuhr der Zug ein, und die Studenten waren wie verschwunden. Wer weiß, was der Mexikaner als Nächstes vorgehabt hätte...

Sie gingen wie jeden Freitag eifrig ihrer Arbeit nach. Nun stand ihnen die letzte Herausforderung bevor – die Anwaltskanzlei. Sie hatten vor, zumindest den Angestellten, die sehr wohl Interesse an ihrem Kommen zeigten, einige Zeitschriften über das Judentum zu hinterlassen. Plötzlich tauchte der Chef auf: „Wer seid ihr?! Was wollt ihr hier“, murrte er sie an und, als ob er sie zum ersten Mal gesehen hätte.

„Wir sind Schüler des Lubawitscher Rebben“, antwortete Chaim ehrlich, ohne irgendetwas vortäuschen zu wollen. „Wir sind gekommen, um zu sehen, ob es hier vielleicht Juden gibt, die Tefilin anlegen wollen“, fuhr Chaim fort, wobei er sicher war, dass man ihn und seine Freude daraufhin fortjagen würde. Der Chef der Kanzlei starrte die Studenten einige Sekunden regungslos an. Plötzlich zeigte er auf Chaim: „Du, folge mir!“ Er brachte Chaim in sein Büro und verschloss die Tür. Er hob seinen Ärmel hoch, Chaim dachte, nun gäbe es Prügel, doch dann kam das Verblüffende „Ich will Tefilin anlegen!“ Nachdem der Chef die Tefilin abgelegt hatte, errötete er ein wenig. „Du willst sicher wissen, was auf einmal in mich gefahren ist!“ Chaim nickte, ohne einen Ton von sich zu geben. Der Mann nahm einen tiefen Atemzug. „Also, in letzter Zeit hatte unsere Kanzlei große Verluste in wichtigen Prozessen erlitten. Private Probleme kamen hinzu. Es war keine Lösung in Sicht, denn ich wusste nicht, an wen ich mich wenden könnte. Gestern habe ich zufällig einen euer Flyer gesehen, die ihr bei jedem Besuch bei uns hinterlasst. Ich sah das Bild eures Rebben. Es machte Eindruck auf mich. ,Vielleicht wäre ja eine religiöse Persönlichkeit die richtige Adresse für mich‘, ging mir durch den Kopf. Als ich von Sorgen bekümmert nach Hause kam, legte ich mich schlafen. In meinem Traum erschien mir der Lubawitscher Rebbe! Er blickte mich mit einem breiten und strahlenden Lächeln an. Ich bat den Rebben um Hilfe. Er antwortete mir wiederum liebevoll: ‚Ich schicke Dir doch jeden Freitag eine Gruppe meiner Schüler mit Tefilin..!‘ Seine Antwort brachte mich in Verlegenheit. ‚Aber Rebbe‘, rief ich zu ihm. ‚Ich kann den Auftritt dieser Burschen nicht ausstehen! Es gibt nicht einmal einen unter ihnen, der eine Krawatte trägt!‘ Lächelnd erwiderte der Rebbe: ‚Es geht um die Krawatte?! In Ordnung... dieses Mal schicke ich Dir jemanden mit einer Krawatte!‘ Und in diesem Moment erwachte ich“, beendete der Chef seine unglaubliche Geschichte. „Verstehst Du?“, fügte er hinzu, während er mit dem Finger bei seinen feuchten Augen vorbeifuhr. „Als ich Dich heute zum ersten Mal mit der Krawatte gesehen habe, wurde mir Einiges klar..!“