Südamerika ist eines der geschäftlichen Hauptreiseziele Rabbi Mosches aus New York. Bei einem seiner Aufenthalte dort begegnete er einem jüdischen Wohlhabenden, der ihn um dringende Hilfe bat. Seine Tochter sei in eine gefährliche Sekte geraten, welche wahrhaftigen Götzendienst trieb. „Rabbi“ flehte ihn der Mann an, „Ich bin zwar kein religiöser Mensch, doch die jüdische Identität meiner Tochter ist mir sehr wichtig! Sie müssen mir helfen, sie von dieser abtrünnigen Sekte zu befreien. Mit mir spricht sie noch kaum.“ Rabbi Mosche versprach dem Mann zu helfen.
Gesagt, getan. Nach kurzer Suche spürte er die verschollene Tochter auf. Er führte mehrere Gespräche mit ihr, und allmählich erkannte sie das wahre Wesen dieser gefährlichen Sekte, an welcher sie so stark gehangen hatte. Schließlich unterbrach sie jeglichen Kontakt zu ihr, und gleichzeitig näherte sie sich mit langsamen Schritten ihrem Judentum. Der überglückliche Vater konnte Rabbi Mosche nicht genug danken.
Nach einiger Zeit erhielt Rabbi Mosche ein unerwartetes Telefonat. Die Tochter des Wohlhabenden war an der anderen Leitung mit einer freudigen Nachricht. Sie lernte einen netten, israelischen Jungen kennen, und sie wollten heiraten. „Natürlich gemäß den jüdischen Traditionen“ versicherte sie. „Ich habe dem Jungen von Ihnen erzählt, Rabbi Mosche“, fuhr sie fort. Und er ist meiner Bitte entgegengekommen, dass Sie die Hochzeitszeremonie durchführen.“ Rabbi Mosche fühlte sich geehrt und war gleich einverstanden; doch er hatte eine Bedingung: Er wolle den Bräutigam zuerst kennenlernen und ihn über die enorme Wichtigkeit der Familienreinheit aufklären.
Bei ihrem ersten Treffen vergewisserte sich Rabbi Mosche von seiner jüdischen Abstammung. Weiters fand er heraus, dass sein Großvater vor dem zweiten Weltkrieg zu einem der großen Rabbiner Warschaus gehörte. Sein Vater allerdings, einer der wenigen Überlebenden des Warschauer Ghettos, entwickelte in seinem Schmerz eine völlige Abneigung zu seinem Judentum, bis er jegliche Bindung zu seiner Religion zutiefst verabscheute. Den Sohn erzog der Vater zum völligen Atheismus. Für ihn stand außer Zweifel, dass jener, wenn er sich dazu entschließen würde, ausschließlich eine standesamtliche Hochzeit begehen würde. Deshalb war er umso mehr geschockt, als sein Sohn ihm die „bittere“ Nachricht über seine geplante jüdische Hochzeit mitteilte. Er warnte seinen Sohn, keine jüdische Hochzeit durchzuführen, ansonsten würde er nicht teilnehmen. Nach langwierigen Verhandlungen gab der Vater schließlich nach, allerdings unter der Bedingung, dass er an keinem religiösen Akt während der Hochzeit aktiv teilnehmen würde.
Der Hochzeitstermin wurde auf den 14. Kislew festgelegt. Im Nachhinein erfuhr das Paar von Rabbi Mosche über die Besonderheit dieses Datums. An diesem Tag heirateten der Lubawitscher Rebbe und die Rebbetzin Chaya Muschka.
Es war geplant, dass der Bräutigam am Schabbat vor der Hochzeit feierlich zur Thora aufgerufen wird, der jüdischen Tradition entsprechend. Doch wie erwartet, torpedierte der Vater dieses Vorhaben. Der Sohn musste nachgeben, und man einigte sich darauf, dass er am Donnerstag in einer kleinen Synagoge in Anwesenheit der engsten Familie zur Thora aufgerufen wird. „Am Vorabend der Hochzeit“ erzählte Rabbi Mosche, „ließ ich dem Lubawitscher Rebben einen Brief überreichen, in dem ich ihm über die bevorstehende Hochzeit berichtete und für das Paar seinen Segen erbat. An jenem Tag fuhr der Rebbe zum Grab seines Schwiegervaters, des Sechsten Lubawitscher Rebben. Um die Mittagszeit kontaktierte mich sein Sekretär mit einer überraschenden Mitteilung vom Rebben: Der Großvater des Bräutigams nahm an der Hochzeit des Rebben teil, welche in Warschau zehn Jahre vor Kriegsausbruch stattfand. Damals überreichte der bedeutende Rabbiner dem Rebben ein religiöses Buch, welches er verfasst hatte. Dieses befände sich noch immer im Besitz des Rebben. Und da die g-ttliche Hand es lenkte, dass die Hochzeit des Enkels an jenem Tag stattfindet, an dem einst der Rebbe das Buch des Großvaters erhalten hatte, wäre es angemessen, wenn dieses Buch sich während der Hochzeitszeremonie unter dem Brauthimmel befinde. Rabbi Mosche eilte zum Sekretariat des Rebben um das Buch abzuholen.
In einem luxuriösen Hotel in Manhattan sollte die Hochzeit stattfinden. Vor der Zeremonie bat mich der Bräutigam erneut, seinen Vater zu keinem religiösen Akt während der Hochzeitszeremonie einzuladen. Ich gab ihm mein Wort darauf. Vor dem Beginn der Zeremonie erklärte ich auf Wunsch des Bräutigams den Gästen, von denen Zahlreiche noch nie eine jüdische Hochzeit miterlebt hatten, über die große Bedeutung einer jüdischen Hochzeit. Schließlich holte ich das Buch aus meinem Anzug hervor und erzählte den Anwesenden von der Bindung des Verfassers zu dem Bräutigam. Die Gäste wirkten ziemlich gerührt; vor allem als ich ihnen sagte, dass der Großvater nun sicherlich im Himmel auf seinen Enkel hinabblickt, voller Freude und Stolz, dass er den Bund der Ehe, den jüdischen Traditionen entsprechend, schloss.
Während ich meine Ansprache hielt, bemerkte ich den Vater, wie er plötzlich aufstand und den Saal verließ. Ich war erschrocken. Womöglich verletzte ich ihn. Ich hielt mich bei meiner Ansprache kurz und verließ den Saal, auf der Suche nach dem Vater. Ich fand ihn im Flur des Hotels. In einer der Ecken stand er mit dem Gesicht zur Wand, sich ausweinend wie ein kleines Kind. Mir war alles klar. Ich ließ ihn allein. Doch in diesem Moment öffnete der Vater eine neue Seite in seinem Leben. Als die Hochzeitszeremonie begann, stellte sich der Vater neben mich und flüsterte mir ins Ohr: ,Ich möchte an der Zeremonie teilnehmen. Was soll ich tun?‘…“
Diskutieren Sie mit