Rabbiner Ben Zion Reider aus London unternahm eine geschäftliche Reise nach Detroit. Er landete früh am Morgen, und hatte einen anstrengenden Tag vor sich, ausgebucht mit Besprechungen und Sitzungen. Am Abend, nach dem letzten geschäftlichen Meeting, blieb ihm noch ein weiteres Treffen. Einer seiner Freunde organisierte ein „Gesellschaftstreffen“ für seine Kameraden. Dazu war auch Rabbiner Reider eingeladen. Die Anwesenheit des Rabbis am Treffen führte zu einer interessanten Diskussion über G-tt und die Welt. Einer der Teilnehmer nahm insbesondere das Thema Tefilin unter die Lupe. „Wieso muss man überhaupt Tefilin anlegen?“, fragte er skeptisch, „eine seltsame Schachtel mit Schriftrollen?!“ Rabbiner Reider spürte in der Luft, dass der Fragende ihn nur reizen und vor den anderen bloßstellen wollte. Deshalb hielt er es nicht für notwendig, auf jede Frage zu antworten. Das Treffen endete gegen zwei Uhr nachts. Als der Rabbiner gehen wollte, kam ihm plötzlich der Gedanke, dass der Fragende womöglich ein Jude war. Er sprach ihn darauf an und seine Vermutung bestätigte sich. Daraufhin fragte er ihn: „Während unseres Gesprächs spürte ich, dass Sie sich besonders für Tefilin interessieren.“ Da sagte der Mann: „Es gab eine Zeit, wo ich sie noch angelegt habe. Doch dies liegt schon über zwanzig Jahre zurück.“ Der Rabbi versuchte ihn zu überreden, wieder Tefilin zu legen, und die Reaktion des Mannes war unerwartet: „Sehr geehrter Rabbi, ich muss mich nun auf den Weg zur Arbeit machen. Ich bin Konditor in einer Bäckerei und arbeite die ganze Nacht hindurch. Wenn Ihnen so viel daran liegt, dass ich Tefilin anlege, können Sie mich gerne um halb sieben in der Früh in der Bäckerei besuchen. Dann habe ich Pause und werde Zeit finden können, Tefilin anzulegen.“ Die Worte hinterließen bei Rabbi Reider den Eindruck, dass der Mann ihn loswerden wollte. Doch er wollte den Mann beim Wort nehmen, obwohl er einen langen Flug und anstrengenden Tag hinter sich hatte.

Um genau halb sieben trat der Rabbiner in die Konditorei. Der Mann hielt sein Wort. Er setzte die Kippa auf seinen Kopf und begann die Tefilin anzulegen. Rabbiner Reider war begeistert, wie der Mann die Tefilin problemlos anlegte. „Vielleicht möchten Sie wieder anfangen, Tefilin täglich anzulegen“, schlug er dem Konditor vor. „Ich besitze keine Tefilin“, erwiderte er. „Außerdem ist meine finanzielle Lage nicht die Beste. Doch falls mir jemand Tefilin besorgt, würde ich die Mitzwa wieder täglich verrichten.“ Rabbiner Reider überlegte einen kurzen Moment und sagte darauf: „Ich plane in ungefähr sechs Wochen wieder hierher nach Detroit zu kommen, und mit G-ttes Hilfe werde ich Tefilin für Sie mitbringen.“ Die beiden verabschiedeten sich, und am selben Tag bestieg Rabbi Reider sein Flugzeug nach London, welches einen Halt in New York machte.

Am Donnerstagmorgen verrichte Rabbi Reider das Morgengebet in „770“, im Lehrhaus des Lubawitscher Rebben. Danach ließ er dem Rebben durch dessen Sekretariat einen Brief übermitteln, in dem er dem Rebben schilderte, was ihm am Tag davor in Detroit widerfahren war. Er beendete sein Schreiben damit, dass er seinen Heimflug nicht verzögern kann, da all seine Kinder, welche als Schluchim (des Lubawitscher Rebben Gesandte) über die ganze Welt verstreut sind, an diesem Schabbat zu Besuch kommen. Als Rabbi Reider das Lehrhaus verlassen wollte, um sich zum Flughafen zu begeben, traf ihn auf einmal der Sekretär des Rebben an. Er überreichte ihm die Antwort des Rebben auf seinen Brief. Der Rebbe begann mit einem Segen für Erfolg für seine geschäftlichen Meetings. Im Anschluss daran schrieb er folgendes: „Sind Sie wirklich der Ansicht, dass ein Jude, welcher gestern zum ersten Mal nach zwanzig Jahren Tefilin angelegt hat, sechs Wochen warten soll, bis Sie ihm neue besorgen, damit er die Mitzwa wieder erfüllen kann?! Kaufen Sie ihm heute die Tefilin. Wenn Sie es arrangieren können, dass die Tefilin noch heute zu ihm gelangen, damit er sie vor Sonnenuntergang anlegen kann, wäre dies wunderbar. Falls nicht, kehren Sie persönlich nach Detroit zurück und überreichen Sie ihm die Tefilin, damit er sie rechtzeitig anlegen kann – selbst wenn Sie deswegen auf den Schabbat mit Ihrer Familie verzichten müssen!“ Der Rebbe fuhr fort: „Sobald ein Jude merkt, wie wichtig es Ihnen ist, dass er das Anlegen der Tefilin auch nicht für einen einzigen Tag versäumt, wird er die Mitzwa hochschätzen und sie wird in seinen Augen etwas Besonderes sein!“

Der Rabbiner änderte daraufhin sofort seine Pläne. Er kaufte nur die besten Tefilin. Danach setzte er sich mit der Fluggesellschaft in Verbindung und bat darum, die Tefilin als wertvolle Sendung nach Detroit zu verschicken. Die Airline war einverstanden. Rabbiner Reider fuhr rasch zum Airport und übergab die Tefilin dem Personal. Er kontaktierte einen seiner Freunde aus Detroit und bat ihn, die Tefilin vom dortigen Flughafen abzuholen und sie dem Konditor noch am selben Tag zu überreichen. Zu seinem großen Glück blieb noch ein freier Platz bei einem späteren Flug nach London, und Rabbi Reider konnte den Schabbat mit seiner Familie verbringen.

Nach sechs Wochen kehrte der Rabbiner wie geplant nach Detroit zurück. Er besuchte den Konditor, welcher ihn strahlend empfing. „Vielen Dank für Ihre Bemühungen. Seitdem Sie mir die Tefilin geschickt haben, verging auch nicht ein Wochentag, an welchem ich sie nicht angelegt habe. Einmal vergaß ich die Tefilin in der Früh anzulegen. Als ich mich im Laufe des Tages daran erinnerte, kehrte ich extra nach Hause zurück, um sie anzulegen. An diesem Tag herrschte ein starker Schneesturm... Sie haben in mir eine feste Bindung zu den Tefilin erweckt“, fuhr der Mann erregt fort. „Ihre Bemühungen, mir die Tefilin noch an demselben Tag zu überreichen, sodass ich sie noch anlegen konnte, bewirkten etwas bei mir...“