In der Sidra Kedoschim spricht die Tora über Vorschriften für einen neuen angepflanzten Obstbaum; dazu gehört (Lev. 19, 25): "Und erst im fünften Jahre dürft ihr seine Frucht genießen, damit er euch einen reichlicheren Ertrag liefere, Ich bin der Ewige, euer G-tt."

Dieser Vers also nennt den Lohn dafür, dass man den Ertrag von Obstbäumen in ihren ersten drei Jahren nicht isst und die Früchte im vierten Jahre (Vers 24) in Jerusalem verzehrt. Die Ausdrucksweise hier ("damit der euch einen reichlicheren Ertrag liefere") legt Betonung auf den Zweck der einschränkenden Vorschriften für die ersten vier Jahre; dieser Zweck ist, dass der Ertrag im fünften Jahre besonders reichlich ausfalle.

Raschi hat dafür die folgende Begründung, unter Bezugnahme auf eine midraschige Auslegung: "R. Akiwa pflegte zu sagen: Die Tora drückt sich deshalb in dieser Weise aus, weil sie auf den bösen Trieb des Menschen Bezug nimmt. Man soll nicht etwa sich beklagen: 'Siehe, vier Jahre habe ich mich ganz umsonst abgeplagt.' Eben deshalb (weil ihr diese Einschärfung befolgt habt) verspricht die Tora, dass das Land euch einen größeren Ertrag liefern wird."

Wir können diese ganze Textstelle noch von einer höheren Perspektive her betrachten, wie folgt. Die fünf Jahre entsprechen, auf spiritueller Ebene, den (in der Philosophie von ChaBaD dargestellten) fünf "Welten" oder "Dimensionen" von Vergeistigung. Die ersten drei Jahre – in denen der Genuss der Früchte absolut untersagt ist – entsprechen dabei den drei niedrigeren Stufen, nämlich "Assija", "Jezira" und "Beria" (das ist: "Handlung", "Gestaltung" und "Schöpfung"); in diesen ist G-tt noch so weit "verhüllt", dass Spaltung, Uneinigkeit und überhaupt verbotene Taten möglich sind. Das vierte Jahr entspricht der nächsten Dimension, nämlich "Azilut" ("Ausstrahlung"), wo alles bereits in einem Zustand von Heiligkeit und nichts mehr von G-tt getrennt ist. Deswegen wird die Frucht des vierten Jahres (im genannten Vers 24) "heilig, ein Mittel für die Lobpreisung G-ttes" genannt.

Der fünfte Zustand jedoch ist der höchste; er heißt "Keter" ("Krone"). Dementsprechend ist auch die Frucht des fünften Jahres die kostbarste – wie uns ja schon daraus klar geworden ist, dass (wie oben gezeigt) die einschränkenden Vorschriften über die ersten vier Jahre den direkten Zweck verfolgen, das fünfte zu bereichern.

Eine Frage aber ergibt sich: Die Früchte des vierten Jahres müssen in Jerusalem genossen werden, in einen Zustand ritueller Reinheit; warum geht diese besondere Erhöhung nicht auch auf den Ertrag des fünften Jahres an, wenn dieser – wie gezeigt – einer noch höheren Dimension entspricht? Warum dürfen im fünften Jahre diese Erzeugnisse überall gegessen werden, was immer auch der Zustand des Menschen ist?

Die Antwort ist schon im Midrasch Tanchuma gegeben, dort nämlich, wo er sagt (Nasso, Kap. 16), dass der ganze Zweck der Schöpfung darin bestand, für G-tt "eine Wohnstätte hier in der niedrigeren Welt zu schaffen". Das heißt, dass diese Welt in eine passende Wohnstätte für G-tt umgeformt werden muss.

Wie ist eine solche Wohnstätte zu bauen? Nicht allein durch Lernen, womit die "Seele" des Juden bereichert wird, als das Höchste in ihm, sondern genauso – und sogar noch mehr – im täglichen Leben, im Konkreten, in der Praxis, wenn man G-tt für Nahrung, für Einkommen, für Gesundheit dankt. Darin aber besteht eine Heiligung des Körpers, der natürlichen Triebe und der physischen Bedürfnisse.

Unter solchen Gesichtspunkten ist freilich die kostbarste Frucht nicht mehr diejenige des vierten Jahres, obwohl sie, im zitierten Verse, "heilig" genannt wird (das heißt: abgesondert) und nur in Jerusalem verzehrt werden darf, während die Frucht des fünften Jahres überall und von jedem genossen werden darf.

Wenn daher der Jude begreift, dass sogar Frucht, welche nicht "heilig" ist, allein von G-ttes Segen abhängt, wenn er, ganz materiell, "einen reichlicheren Ertrag" sieht und dafür dankt, dann genau hilft er dabei mit, dass G-tt "eine Wohnstätte in dieser Welt" findet. Das erst ist die Vollendung des Schöpfungswerkes.