Nahe der berühmten Stadt Pschischa lebte einmal ein jüdischer Schneidermeister. Selbst Adlige reisten meilenweit, um bei ihm Kleider in Auftrag zu geben.

Eines Tages kam ein Edelmann mit einem Ballen Kleider zu dem Schneider. Er übergab ihn dem Schneider und sagte: “Das ist sehr feiner und teurer Stoff. Er kommt aus dem fernen Paris, dem Modezentrum der Welt. Ich möchte, dass du mir einen Anzug daraus nähst, aber er muss gut geschnitten und verarbeitet sein, um dem Stoff Ehre zu machen.”

“Bin ich etwa kein Meister?” sagte der Schneider lachend und nahm den Stoff in Empfang.

Einige Tage später, als der Schneider den Anzug zur ersten Probe brachte, war der Adelige unzufrieden. “Du hast teuren Stoff ruiniert!” schimpfte er. Wütend warf er ihm den Stoff zu und schickte ihn hinaus.

Daraufhin verlor der Schneider seinen guten Ruf. Die anderen Adligen begünstigten ihn nicht mehr, und bald musste er Hunger leiden. Als seine Frau merkte, dass sie arm geworden waren, drängte sie ihren Mann, Rabbi Jerachmiel aufzusuchen, den Sohn des berühmten Jid Hakadosch von Pschischa. “Er hat schon vielen Leuten geholfen. Geh zu ihm, er wird dir sagen, was zu tun ist.”

Der Schneider befolgte den Rat seiner Frau und ging zu Rabbi Jerachmiel. Als der Rebbe die traurige Geschichte gehört hatte, sagte er: “Du musst Folgendes tun. Nimm den Anzug, den du für den Adligen genäht hast, löse die Nähte, und nähe sie dann wieder genau so zusammen wie beim ersten Mal. Dann bring ihm den Anzug.”

Der Schneider lachte insgeheim über diesen Rat, aber er befolgte ihn, weil er nichts zu verlieren hatte. Als der Anzug fertig war, brachte er ihn erneut zu dem Poriz. Diesmal war der Edelmann sehr erfreut. Er lobte den Schneider und gab ihm sogar ein Versöhnungsgeschenk.

Der Schneider kehrte zum Rebbe zurück und berichtete. “Mir war klar”, sagte der Zadik, “dass du übertrieben stolz warst, als du den Anzug zum ersten Mal genäht hast — als sei dein Talent über jeden Zweifel erhaben. Was mit Stolz gemacht wird, hat keine Eleganz. Darum war dein Auftraggeber unzufrieden. Als du gebeugt und demütig zu mir kamst, ohne deinen eitlen Stolz, riet ich dir, die Nähte zu öffnen und von vorne anzufangen. Beim zweiten Mal warst du ganz bescheiden, und darum wurde ein und derselbe Anzug plötzlich reizvoll.”