Als der Schneider in hohem Alter starb, erregte sein Tod wenig Aufmerksamkeit. Aber das Begräbnis war ungewöhnlich für einen einfachen Schneider, denn der Oberrabbiner von Lemberg führte die Prozession zum Friedhof an. Darum schlossen sich natürlich alle Juden der Stadt an, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

Die Folge war ein Begräbnis, wie es normalerweise nur großen Rabbinern oder Zadikim vorbehalten ist. Die Juden von Lemberg zweifelten nicht daran, dass der Schneider ein sehr verdienstvoller Mann gewesen war, und warteten gespannt auf die wundervolle Ansprache des Oberrabbiners. Und sie wurden nicht enttäuscht, denn der Rabbi erzählte ihnen diese Geschichte:

Vor vielen Jahren hatte der Rabbi den Schabbat in einer Dorfherberge verbracht, und der Wirt berichtete von einem Juden, der eine Art Hofnarr beim Großgrundbesitzer war. Dieser Jude sei einst ein einfacher, aber frommer Schneider gewesen. Er hatte einige Male für den Grundherrn gearbeitet, und weil er ein amüsanter Mensch mit einer schönen Singstimme war, freuten sich der Grundherr und seine Familie immer über seinen Besuch.

Eines Tages baten sie ihn, als Unterhalter bei ihnen zu bleiben. Damals war das durchaus üblich. Er nahm das Angebot an und begann allmählich, seine jüdische Lebensweise zu vernachlässigen, bis er überhaupt nicht mehr als Jude lebte. Das tat dem Wirt sehr leid, und er betete mit dem Rabbi für diesen Juden.

Am Freitagnachmittag, kurz vor Schabbat, galoppierte ein Mann zur Herberge und wollte dort den Schabbat verbringen. Zu ihrer Überraschung war dieser Gast kein anderer als der jüdische Hofnarr, der Stoff für seine Witze und Possen sammeln wollte. Der Wirt traute sich nicht, ihn abzuweisen. Am Schabat-Tisch sprach der Rabbi über den Wochenabschnitt und erzählte, wie Terach, Awrahams heidnischer Vater, und Jischmael, Awrahams wilder Sohn, bereuten und wie G-tt ihnen verzieh. „Worte, die von Herzen kommen, dringen ins Herz“, sagt man.

Jedenfalls rührten die Worte des Rabbi den Spaßvogel, der im Laufe des Schabbats immer nachdenklicher wurde. Am Samstagabend bereute er sein bisheriges Leben so sehr, dass er zum Rabbi ging und ihn fragte, wie er Buße tun könne. Der Rabbi riet ihm, seine Stellung beim Grundherrn aufzugeben, sich für einige Zeit zurückzuziehen und zu beten, zu meditieren und zu fasten – bis ein Zeichen vom Himmel ihm mitteilen werde, dass seine Reue akzeptiert wurde. Der Mann befolgte den Rat aufrichtig.

Er ging nach Lemberg in eine große Synagoge und traf eine Abmachung mit dem Hausmeister: Der sollte ihn in ein kleines Zimmer einschließen, und er würde den ganzen Tag beim Gebet verbringen. Vor dem Schließen der Synagoge sollte ihn der Hausmeister herauslassen, damit er ein wenig essen und dann auf einer Bank schlafen konnte. Nur am Freitagabend wollte er zu Ehren des Schabbats die Synagoge verlassen, um den Tag bequemer zu verbringen.

So lebte er viele Wochen lang, bis der Hausmeister eines Freitagabends vergaß, seine Tür aufzuschließen. Der Schneider glaubte, G-tt habe ihn verlassen, und er weinte bitterlich. Hungrig und müde schlief er ein und träumte von einem alten Mann, der zu ihm sagte: „Ich bin Elijahu, der Prophet, und ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass deine Reue angenommen wurde. Faste nicht länger. Ich werde jede Nacht erscheinen und dich in der Tora unterrichten, so wie es nur frommen Juden gebührt.“

Der Schneider eröffnete ein kleines Geschäft und führte ein bescheidenes Leben. Eines späten Abends ging der Rabbi an seinem Haus vorbei und sah ein helles Licht darin. Doch als er eintrat, sah er nur noch den Schneider neben einer kleinen Kerze. Das geschah noch zweimal, und jedes Mal fand der Rabbi nur eine kleine Kerze im Raum.

Beim dritten Mal verlangte der Rabbi vom Schneider eine Erklärung, und dieser erzählte ihm, was seit ihrer Begegnung in der Herberge geschehen war und dass der Prophet ihm versprochen habe, kein Bürger der Stadt werde sterben, solange er lebe.

Am nächsten Tag wies der Rabbi den Bestatter an, ihn jedes Mal zu unterrichten, wenn es einen Todesfall gab. Und in der Tat zeigte sich, dass alle Verstorbenen keine Einwohner, sondern Durchreisende waren.

Am Ende dieser erstaunlichen Geschichte erklärte der Rabbi der Gemeinde, die Macht der Tschuwa sei grenzenlos. Einerlei, was geschehen ist, G-tt wartet immer darauf, dass seine Kinder zu ihm zurückkehren.