Im Monat Elul kam ein Maggid (Reiseprediger) in die Stadt von Reb Schmuel Munkis. Schmuel war ein beliebter Chassid von Rabbi Schneur Salman, dem Gründer des Chabad-Chassidismus. Er war für seinen Humor bekannt, aber er war kein Witzbold, sondern hatte eine sehr tiefe Persönlichkeit. Falschheit konnte er nicht ertragen, und er hatte sein Ich vollständig aufgegeben, um nur den Willen seines Schöpfers zu erfüllen.
Die Einwohner lasen den Empfehlungsbrief des Maggids, in der er als großer Zadik bezeichnet wurde, der von Stadt zu Stadt reise, um die Juden zu inspirieren. Die frommen Leute luden ihn sofort ein, zu ihnen zu sprechen, damit sie G-tt besser dienen konnten.
Der Maggid begann mit seiner Rede. Immer wieder warf er seinem Publikum schreckliche Sünden vor. Seine ganze Predigt war gespickt mit Anschuldigungen und Beschreibungen der furchtbaren Strafen, die auf sie warteten, weil sie G-tt erzürnt hätten. Nur bei aufrichtiger Reue hätten sie eine Chance, verschont zu bleiben.
Die Menschen waren entsetzt über diese harten Worte und weinten bitterlich, denn sie fürchteten die schreckliche Strafe. Nach seiner Rede zog sich der Maggid selbstzufrieden in das Zimmer zurück, dass die Gemeinde ihm zur Verfügung gestellt hatte.
Bald darauf besuchte ihn Reb Schmuel. Er hatte ein langes Messer und einen Wetzstein dabei. Er verriegelte die Tür und begann das Messer zu schleifen. Einige gespannte Augenblicke vergingen. Dann fragte der Maggid erstaunt, was Schmuel da tue. Ohne aufzublicken antwortete Schmuel: „Wie der große, ehrwürdige Maggid weiß, sind wir hier sehr einfache Leute. Vielleicht war wegen unserer unbeabsichtigten Sünden nie ein großer, frommer Gelehrter in unserer Mitte.“
„Das stimmt“, sagte der Maggid. „Aber was hat das mit dem Schärfen des Messers zu tun?“
Schmuel antwortete schlicht: „Unsere Eltern haben uns beigebracht, vor Rosch Haschana an den Gräbern der Frommen zu beten.“ Auch das bestätigte der Maggid. Immer noch verwundert, wollte er wissen, warum Schmuel das Messer wetze. „Ganz einfach“, erklärte Schmuel. „Das nächste Grab eines Frommen ist weit entfernt, und für einige von uns wäre eine so lange Reise überaus beschwerlich.“
Allmählich fühlte der Maggid sich unwohl. Er begann zu schwitzen und sagte: „Ich weiß immer noch nicht, warum du in diesem Zimmer ein Messer schleifst!“ Schmuel antwortete: „Weil die Einwohner in dieser Stadt einen sehr frommen Menschen begraben wollen.“
Jetzt hatte der Maggid keinen Zweifel mehr an Schmuels Absichten. „Aber ich bin nicht ganz fromm“, stammelte er. „Auch ich begehe kleine Sünden.“ Er zählte einige auf. Schmuel winkte ab. „Verehrter Maggid, Ihr seid dennoch ein frommer Gelehrter. Was Eure Sünden anbelangt, wusste ich nicht einmal, dass es Sünden sind.“
Der Maggid zitterte und stotterte. „Aber ich habe auch schwerere Sünden begangen.“ Und wieder nannte er ein paar. Schmuel zuckte mit den Schultern. „In unseren Augen seid Ihr trotzdem ein Zadik. Für uns seid Ihr gut genug.“
Das seltsame Gespräch ging weiter, und der Maggid offenbarte immer mehr schwere Sünden. Doch jedes Mal erklärte Schmuel: „Aber für uns seid Ihr gut genug, weil Ihr trotzdem viel besser seid als wir.“
Schließlich gestand der Maggid einige sehr schwere Sünden und meinte, er sei nicht wirklich der große Zadik, den sein Empfehlungsbrief beschreibe. Im Grunde bezeichnete er sich als Hochstapler. Jetzt stellte Schmuel sich nicht mehr dumm. Er legte das Messer weg und wies den Maggid zurecht, weil er den Juden der Stadt so große Angst eingejagt hatte.
Als er sicher war, dass der Maggid verstanden hatte, wie er mit anderen Juden umgehen musste, öffnete Schmuel die Tür und ließ ihn gehen – viel klüger und vernünftiger als zuvor.
ב"ה
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