Ein Akrobat prahlte einmal in Krasna, er könne den Fluss neben der Stadt auf einem Seil überqueren. Dafür verlangte er allerdings hundert Rubel von den Zuschauern. Ein unternehmenslustiger junger Mann sperrte ein Uferstück mit Seilen ab und stellte eine Kabine auf, um das Eintrittsgeld zu kassieren. Inzwischen spannte der Artist ein Seil von einem Ufer zum anderen. Alles war für das große Schauspiel bereit.

Viele Leute kamen — alle Einwohner von Krasna. Sogar Rabbi Chaim, ein Anhänger des Baal Schem Tow und selbst ein großer Lehrer, bezahlte das Eintrittsgeld. Das Geschick des Akrobaten war bewundernswert. Er ging auf dem straff gespannten Seil quer über den rauschenden Fluss.

Die Menschen schauten mit offenem Mund zu. Einen solchen Mut und eine solche Furchtlosigkeit hatten sie nie zuvor gesehen. Rabbi Chaim schaute ebenfalls zu, schien aber in Gedanken versunken zu sein. Er achtete nicht darauf, was in seiner Umgebung vorging.

Später, als die Vorführung beendet war und die Menge sich zerstreut hatte, gingen Rabbi Chaims Schüler zu ihrem Meister und fragten ihn, warum er so nachdenklich gewesen sei, als der Artist den Fluss überquerte.

Rabbi Chaim antwortete: “Als ich ihm zusah, wusste ich, dass er bereit war, sein Leben für hundert Rubel aufs Spiel zu setzen, dass er aber während des Kunststücks überhaupt nicht an das Geld dachte. Wäre er stehen geblieben und hätte auch nur eine Sekunde nachgedacht, hätte er gewiss das Gleichgewicht verloren und wäre in die Fluten gestürzt. Mit anderen Worten, der Akrobat versuchte mit all seinen Kräften, bei jedem einzelnen Schritt am Leben zu bleiben.

Da dachte ich: Wenn ein Mann bereit ist, sich für Geld derart intensiv zu konzentrieren, wie viel mehr sollte dann ein Jude bereit sein, alle seine Fähigkeiten zu nutzen und sich allein auf den G–ttesdienst zu konzentrieren!”