Jeder hat von der berühmten und reichen Bankiersfamilie Rothschild gehört. Ihr Begründer war Amschel Rothschild, ein orthodoxer Jude, der Mitte des 19. Jahrhunderts in Österreich lebte. Amschel häufte ein riesiges Vermögen an und war ein Freund des Kaisers Franz Joseph.
Ab und zu schickte der Kaiser einen seiner Beamten in den luxuriösen Palast von Amschel Rothschild. Es war der prächtigste Palast im ganzen Land, und alle wollten seine Schönheit bewundern.
Einmal führte Amschel einen hohen Regierungsbeamten durch den Palast und zeigte ihm einen Raum nach dem anderen. Der Gast war beeindruckt vom Gold, vom Silber, von den Möbeln, Kronleuchtern und importierten Stoffen. Es gab nichts Vergleichbares in Österreich. An einer bestimmten Tür ging Amschel einfach vorbei. Aber sein Gast wollte auch dieses Zimmer sehen.
„Tut mir leid“, sagte Amschel. „Dies ist der einzige Raum im Palast, den ich Ihnen nicht zeigen kann.“
„Warum?, fragte der Gast. „Ich möchte jeden Teil Ihres erstaunlichen Palastes sehen.“
„Das geht nicht“, erwiderte Amschel und ging weiter. Nach der Besichtigung kehrte der Gast zum Kaiser zurück und berichtete, was er gesehen hatte. „Einen Raum wollte Amschel mir allerdings nicht zeigen“, fügte er hinzu.
„Wieso nicht?“, fragte der Kaiser.
„Ich weiß es nicht. Aber Ihr wisst ja, wie reich diese Juden sind. Ich vermute, dass er in diesem Raum eine magische Geldmaschine aufbewahrt. Darum ist er so reich!“
Der Kaiser zweifelte an den Worten seines Beamten und schickte daher einen zweiten Beamten zu Amschel Rothschild. Der zweite Beamte kam mit der gleichen Geschichte zurück. Ebenso ein Dritter und ein Vierter.
Jetzt wurde der Kaiser neugierig und beschloss, den Palast selbst zu besuchen. Amschel führte ihn durch den Palast, und als sie das „verbotene Zimmer“ erreichten, wollte der Kaiser hineingehen.
Amschel erklärte, dies sei der einzige Raum, den er niemandem zeigen könne. Erst als der Kaiser darauf bestand, gab Amschel nach. Er holte seinen Schlüsselbund heraus, öffnete die Tür und bat den Kaiser herein. Franz Joseph schaute sich erstaunt um. In dem kleinen Zimmer standen eine schlichte Kiste aus Kiefernholz und ein Tisch mit einem weißen Tischtuch. Das war alles!
„Was soll das?, fragte der Kaiser.
Amschel erklärte: „Wir Juden haben strenge Beerdigungsregeln. Wer stirbt, muss in einem ganz einfachen Sarg begraben werden, in einer Kiste aus Kiefernholz. Und sein Leib muss in ein einfaches weißes Tuch gewickelt werden. Das alles symbolisiert, dass G-ttes Kreaturen gleich viel wert sind. Niemand darf in einem teuren Sarg oder in prächtigen Tüchern beerdigt werden. Gewiss, manche Menschen führen ein reiches Leben, während andere arm bleiben. Doch im Tod sind alle gleich.“
„Aber warum stehen diese Dinge in diesem Zimmer?“, fragte der Kaiser, beeindruckt, aber immer noch verwirrt.
„Am Ende jedes Tages gehe ich in diesen Raum und betrachte den Sarg und das Tuch. Sie erinnern mich daran, dass ich zwar reich und mächtig, aber dennoch nur ein einfaches Geschöpf G-ttes bin. Am Ende meines Lebens werde ich wie alle anderen Kinder G-ttes sein. Ich mache das, damit ich nach einem Tag voller großer Finanzgeschäfte nicht hochmütig werde.“
Franz Josef war erstaunt, ja sprachlos. Sein Respekt vor Amschel Rothschild wurde noch größer, und er zweifelte nie wieder an der Aufrichtigkeit und Integrität dieses Juden.
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