Reb Awigdor Halberstam, der Bruder Reb Chaims von Sans, war einmal der Ehrengast eines prominenten Bürgers. Damals war es Brauch, daß der Hausherr seinem Gast den ganzen Topf mit Tscholent reichte und ihn bat, die dampfende Speise an die Mitglieder der Familie zu verteilen, als sei er der Gastgeber. Als ihm der Tscholent gereicht wurde, schnupperte er daran, probierte ihn, probierte noch einmal und noch einmal – bis der ganze Topf leer war. Dann fragte er: “Habt ihr noch ein bißchen mehr davon?” Man brachte den Rest, und auch diesmal verspeiste er alles allein. Der Hausherr und seine Familie waren verdutzt. Aber sie wußten, daß ein Zadik im Essen einen spirituellen Akt sieht, der den Funken der Heiligkeit in den weltlichen Dingen offenbart. Und wer hätte es gewagt, die Gedanken eines Zadik zu ergründen?
Doch einige seiner Schüler waren anwesend, und sie hatten es nie zuvor erlebt, daß Reb Awgidor sich so benahm. Also faßten sie Mut und fragten ihn einige Zeit später, welche verborgenen Aspekte er mit diesen Tscholent habe genießen wollen.
“Ich weiß, daß ich mich auf eure Verschwiegenheit verlassen kann”, erklärte er ihnen. “Das Hausmädchen hat den Tscholent versehentlich mit Kerosin gewürzt anstatt mit Essig. Ich habe es gerochen und geschmeckt. Hätten der Hausherr und seine Frau es gemerkt, hätte das Mädchen wohl seine Arbeit verloren – und sie ist ein armes Waisenkind. Darum habe ich den ganzen Tscholent gegessen und die Leute denken lassen, was sie denken wollten. Warum sollte eine arme Waise unter einem solchen Mißgeschick leiden?”
Diskutieren Sie mit