Eines Tages bekam Rabbi DowBer („der Maggid“) von Mesritsch Besuch. Es war ein alter Freund, der vor seiner chassidischen Zeit mit ihm studiert hatte. Sehr interessiert beobachtete Rabbi DowBer das Verhalten seines ehemaligen Partners, der inzwischen ein Anhänger des Baal Schem Tow geworden war und nach dessen Tod die Leitung der chassidischen Gemeinde übernommen hatte.

Der Gast wunderte sich darüber, wie viel Zeit der Maggid für das Gebet opferte. Gewiss, auch er widmete sich dem meditativen Gebet, und als Studenten hatten er und Rabbi DowBer die mystischen Lehren der Kabbalisten ergründet und die vorgeschriebenen Gebete (Kawonot) gesprochen. Aber so viele Stunden lang hatte er nie gebetet.

„Das verstehe ich nicht“, sagte er zu Rabbi DowBer. „Ich bete ebenfalls alle Kawonos des heiligen Ari. Trotzdem brauche ich dafür nicht annähernd so lange wie du.“

Der Gast war ein hingebungsvoller Gelehrter. Seine Frau führte das Geschäft der Familie, so dass er seine ganze Zeit dem Studium der Tora widmen konnte. Nur einmal im Jahr musste er sein Studium einige Wochen unterbrechen. Seine Frau gab ihm eine Liste der Waren, die sie brauchte, und er reiste zur Messe nach Leipzig, um dort einzukaufen.

„Pass auf“, sagte Rabbi DowBer zu seinem Gast. „Ich habe eine Idee. Warum vergeudest du jedes Jahr kostbare Wochen des Studiums? Bleib dieses Jahr zu Hause. Stelle dir die Reise nach Leipzig einfach vor, jeden Weg, jede Straßenkreuzung, jede Herberge. Stelle dir auch die Händler vor, mit denen du Geschäfte machst, samt dem üblichen Gefeilsche. Lade deine Käufe dann auf deinen imaginären Wagen und fahre zurück. Das alles dauert höchstens ein paar Stunden — dann kannst du dich wieder in deine geliebten Bücher vertiefen!“

„Das ist ja gut und schön“, wandte der Freund ein. „Aber es gibt da ein kleines Problem: Ich brauche die Waren.“

„Dasselbe gilt für das Gebet und seine Kawonot“, sagte Rabbi DowBer. „Es ist schön und gut, wenn du dieses oder jenes erhabene Attribut G–ttes beim jeweiligen Teil der Gebete vor dem geistigen Auge siehst oder wenn eine bestimmte Stelle ein bestimmtes Gefühl in dir auslöst. Aber ich brauche die echte Ware!“