Vor vielen Jahren wurde ein jüdischer Junge in einem kleinen Dorf zum Waisen. Ein Dorfbewohner hatte Mitleid mit ihm und nahm ihn auf. Das Kind ging in die Jeschiwa, verstand aber trotz aller Bemühungen gar nichts. Deshalb schickte ihn sein Pflegevater als Lehrling zu einem Teermacher.
Kaum hatte der Meister ihm die Grundlagen der Arbeit erklärt, arbeitete der Junge fehlerlos. Nach einem halben Jahr sagte sein Meister zu ihm: „Du brauchst mich nicht mehr. Du kannst jetzt selbständig arbeiten.“
Also eröffnete der junge Mann seinen eigenen Betrieb in einem Nachbardorf. Bald war er bei seinen Mitbürgern beliebt, denn sowohl Juden als auch Nichtjuden schätzten seine Fröhlichkeit und Ehrlichkeit. Sein Geschäft blühte, und er heiratete die Tochter eines Kaufmanns. Bald konnte er nicht nur seine Familie unterstützen, sondern auch die lokalen Jeschiwas und bedürftige Menschen in der Stadt. Er ließ sogar ein Gästehaus bauen, in dem Reisende auf seine Kosten übernachten konnten. Sein einziges Problem war, dass er wenig über die Tora wusste.
Sein Schwiegervater tröstete ihn und versicherte ihm, seine Spenden an Toragelehrte seien gleich viel wert wie ein eigenes Studium. Aber das beruhigte ihn nicht.
Eines Tages fiel ihm im Gästehaus ein Besucher auf, der am ganzen Körper Wunden hatte. „Was ist mit dir passiert?“, fragte er.
„Ich habe zwar die Tora studiert“, antwortete der Gast, „hatte aber Schwierigkeiten mit den Kommentaren. Darum beschloss ich, mich selbst zu geißeln, damit G-tt meinen Verstand schärfen möge. In der Tat erreichte ich mein Ziel. Mit G-ttes Hilfe werden auch diese Wunden heilen.“
Von dieser Methode hatte der junge Mann noch nie gehört. Aber er freute sich darüber, dass er immer noch eine Chance hatte. Also ging er jeden Tag in den Wald und ließ sich von Insekten stechen, bis seien Haut blutete und unerträglich juckte.
Als er wieder einmal von Fliegen umringt auf einem Baumstumpf saß, fragte ihn ein Fremder: „Warum tust du das?“
Er berichtete ihm von seinem großen Wunsch, die Tora zu studieren. Aber der Fremde sagte: „Was du hier tust, ist völlig unnötig. Schließen wir einen Handel. Du gibst mir deinen ganzen weltlichen Besitz, und ich verspreche dir, dich in der Tora zu unterrichten.“
Der junge Mann versicherte: „Ich bin dazu bereit, muss aber zuerst mit meiner Frau reden, weil es auch sie betrifft. Morgen sage ich dir Bescheid.“
Er ging nach Hause und erzählte seiner Frau, was geschehen war. „Das hast du dir doch immer gewünscht“, sagte sie. „Du musst es tun.“
Aber der Mann zögerte. Er war immer verantwortungsbewusst gewesen. Darum fragte er seinen Schwiegervater um Rat. „Was? Du sollst deinen ganzen Besitz einem Fremden geben – für ein vages Versprechen? Deine Spenden sind so viel Wert wie das Wissen eines großen Gelehrten!“
Nun war der junge Mann verwirrt. Aber seine Frau sagte: „Mir scheint, du weißt nicht, was du willst. Du hast doch immer behauptet, das Torastudium sei dein größter Wunsch. Jetzt hast du Gelegenheit dazu und zauderst!“
Am nächsten Tag kam der Fremde, der kein Geringerer als der Baal Schem Tow war, an denselben Platz im Wald, und die beiden gingen ins Haus des jungen Mannes. Als sie eintraten, sahen sie zu ihrem Erstaunen einen reich beladenen, festlichen Tisch. „Was ist das?“, fragte der Baal Schem Tow.
Die Frau erklärte: „Heute können wir die heilige Mizwa der Gastfreundschaft zum letzten Mal befolgen, und das möchte ich so schön wie möglich tun. Außerdem kann mein Mann sich endlich seinen größten Wunsch erfüllen. G-tt kann einem Menschen auf vielerlei Weise den Besitz nehmen. Aber wir haben das Glück, alles für die Tora herzugeben. Auch das ist ein Grund zum Feiern!“
Nach dem Essen fragte der Baal Schem Tow den jungen Mann: „Wie hast du dich entschieden?“ Der junge Mann schien unsicher zu sein, aber nach einem Blickwechsel mit seiner Frau fasste er Mut. Er nahm eine Feder und überschrieb seinen gesamten Besitz dem Baal Schem Tow. Das Paar durfte weiter das Haus und den Garten benutzen und bekam Mehl, um Brot zu backen. Dafür durfte der angehende Gelehrte mit dem Baal Schem Tow an einen Ort der Tora reisen.
Wie er es gewünscht hatte, wurde aus dem jungen Mann ein großer Gelehrter und Zadik. Jahre später sagte der Baal Schem Tow über Rabbi Akiwas Frau Rachel: „Alles, was er erreicht hat, gehört ihr“. Denn die selbstlose Frau hatte alles für die Tora geopfert.

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