Was für eine Ehre! Der Gastwirt betrachtete es fast als heiliges Vertrauen, dass der Baal Schem Tow jedes Mal, wenn er in der Gegend weilte, bei ihm abstieg. Ein besonderes Zimmer war immer vorbereitet, für den Fall, dass der Zadik vorbeikam.

Eines Tages kam der Baal Schem Tow wieder einmal in die Herberge und wollte in sein Zimmer gehen. Aber der Wirt musste zu seinem Ärger feststellen, dass die Tür abgeschlossen war. Er klopfte, und heraus kam Pjotr, der nichtjüdische Diener, der sich im Zimmer eine Weile ausgeruht hatte.

Als der Baal Schem Tow den Zorn des Wirtes sah, ermahnte er ihn; „Bestrafe den Knaben nicht. Eines Tages wird er dir helfen, wenn du es am nötigsten hast.“ Dann fragte er das verängstigte Kind: „Was ist dein größter Wunsch?“

Der Knabe antwortete: „Ich will in die Schule gehen und schöne Kleider tragen.“

„Genau das wird geschehen“, sagte der Baal Schem Tow. Dann stieg er in seine Kutsche und fuhr weiter. Der Knabe ging tatsächlich in die Schule und konnte dem Unterricht mühelos folgen. Später kehrte er in die Gastwirtschaft zurück und arbeitete für den Wirt als Buchhalter.

Eines Tages fiel einem adligen Reisenden auf, wie klug der junge Mann war. Er bot dem Wirt eine große Geldsumme an, wenn er ihm seinen Diener überließ. Der Wirt sprach mit Pjotr, dann stimmte er zu. Zu seiner Freude ging Pjotr erneut in die Schule und beendete seine Studien mit Auszeichnung. Der Adlige liebte ihn und nahm ihn mit nach Hause.

„Ich wurde nicht mit Kindern gesegnet“, sagte er, „und darum will ich dich adoptieren.“ Pjotr hatte Erfolg in allem, was er unternahm, und er war überall beliebt. Als sein Adoptivvater starb, erbte Pjotr sein ganzes Vermögen. Pjotr beschloss, den Gastwirt zu besuchen, der ihm den Start in dieses Leben ermöglicht hatte. Doch als er in seinem früheren Heim ankam, fand er dort Fremde vor.

„Wo ist der frühere Wirt?“, fragte er. Der neue Besitzer erzählte ihm eine traurige Geschichte: Das Glück habe seinen Vorgänger verlassen; er habe alles verloren und lebe jetzt als Bettler in einer Nachbarstadt. Voller Mitgefühl fuhr Pjotr in diese Stadt und ließ verkünden, er werde an alle Armen Almosen verteilen. Die Armen versammelten sich vor seiner Wohnung, und er gab jedem ein paar Münzen. Als er seinen ehemaligen Dienstherrn sah, bat er ihn, ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen. Erst als der Bettler das getan hatte, sagte ihm Pjotr, wer er war.

Der Jude war überwältigt von dieser unerwarteten Begegnung und vom Erfolg des jungen Mannes. „Erlaube mir, dich mit auf mein Gut zu nehmen“, sagte Pjotr. „Dort werde ich für dich sorgen, und es wird dir an nichts fehlen.“

Der Jude zögerte; aber nach einigem Zureden nahm er das Angebot an. Pjotr zahlte alle Schulden seines ehemaligen Herrn und gab ihm einen Geldbetrag, von dem er leben konnte. Dann beschloss er, eine Gastwirtschaft bauen zu lassen, die der Jude führen sollte.

Nun hatte es in der Stadt eine Reihe von Diebstählen gegeben, und der Jude war wegen seines plötzlichen Wohlstandes verdächtig. Man verhaftete ihn und warf ihn ins Gefängnis, wo er mehrere Wochen blieb. Als die Gastwirtschaft fertig war, wollte Pjotr den Juden holen, aber der war im Kerker! Pjotr ging sofort zu den Behörden, bürgte für die Unschuld seines ehemaligen Arbeitgebers und erreichte, dass dieser freigelassen wurde. Auf Pjotrs Gut waren der Jude und seine Familie glücklich. Aber das Glück war nicht von Dauer. Die Bauern waren eifersüchtig auf ihn, weil ihr Herr ihn bevorzugte. Darum verschworen sie sich mit dem Priester gegen ihn.

Eins Nachts verstreckte eine Frau ein kleines Bündel im Gebüsch vor der Gastwirtschaft. Pjotr, der das Lokal gerade verließ, beobachtete des Vorfall in der Dunkelheit. Am nächsten Tag brach in der Gastwirtschaft ein Chaos aus. Der Priester, die Bauern und die Polizei stürmten ins Haus und legten den Juden in Ketten. Eine Gerichtsverhandlung wurde anberaumt, und dem Juden drohte die Todesstrafe. Wieder erschien Pjotr und erreichte seine Freilassung; doch diesmal nur bis zur Verhandlung.

Der Jude lief weinend zum Baal Schem Tow und bat ihn um seinen Segen. „Habe ich dir nicht gesagt, Pjotr werde dir helfen? Geh zurück und mach dir keine Sorgen.“

Der Tag der Verhandlung kam, und Pjotr übernahm die Verteidigung. Er rief die Bauernfrau in den Zeugenstand. Die dumme Frau war ihm nicht gewachsen und gestand weinend ihre Schuld. Dann vernahm der Richter den intriganten Priester, und der sah keinen anderen Ausweg mehr, als zu gestehen, dass er den finsteren Plan ausgeheckt hatte. Darum wurde er anstelle des Juden verurteilt. Wieder einmal hatten sich die Worte des Baal Schem Tow bestätigt.