Der Wirt Jankel lebte schon lange in einem abgelegenen Dorf und dachte kaum noch daran, dass er Jude war. Schabbat war ein Wort, das er fast nicht mehr kannte. Tag und Nacht bediente er die polnischen Bauern, die in sein kleines Lokal kamen. Nie geschah etwas Neues, und ein Jahr ging unbemerkt in das nächste über.

Doch eines Tages kam ein würdevoller Jude in das Lokal und störte Jankels Ruhe. Dieser Gast war niemand anders als der berühmte Zadik Rabbi Mosche Leib von Sassow, der mitten im Wald eine Hütte gemietet hatte, um in der Stille zu meditieren und zu beten. Manchmal ging er in das Gasthaus, um Speisen zu kaufen. So lernte er Jankel kennen.

Als der Zadik zum ersten Mal zu ihm kam, rührte sich etwas tief in Jankel, und er sagte: „Ich bin auch Jude.“

„Wie kannst du an einem Ort leben, an dem es keine anderen Juden gibt?“, fragte ihn der Zadik. „Mir scheint, du hast sogar unsere heiligen Traditionen vergessen. Mein armer Bruder, sogar die Tiere der Juden arbeiten am Schabbat nicht. Musst du noch tiefer sinken als sie?“

Jankel errötete. „Aber, Rabbi“, sagte er, „ich muss am Schabbat öffnen, sonst kaufen die Bauern ihre Getränke anderswo und ich verdiene nichts.“

„Trotzdem“, beharrte Rabbi Mosche Leib, „musst du am Schabbat schließen. Wie kann eine heilige jüdische Seele weniger Eifer zeigen als der Esel eines Juden, der am Schabbat nicht arbeiten darf?“

Als Jankel merkte, dass der Zadik eisern blieb, wurde er nachdenklich und beschloss, sein Lokal am Schabbat zu schließen. Seine Kunden ärgerten sich. „Wenn du uns keinen Alkohol verkaufst, beschweren wir uns beim Grundherrn, dann wirft er dich hinaus!“ Jankel wusste, dass sie es ernst meinten, vor allem wenn es um Wodka ging. Also ging er in den Wald, bis er die Hütte des Zadiks fand.

„Die Bauern wollen mich ruinieren“, klagte er.

„Mach dir keine Sorgen. Verriegle die Türen. Wenn dein Grundherr dich verhört, dann sag ihm, G-tt habe den Juden befohlen, den Schabbat zu heiligen“, erwiderte Rabbi Mosche Leib.

Der Wirt fürchtete sich, aber er befolgte den Rat des Zadiks. Der Schabbat kam, und Jankel verriegelte die Tür seines Lokals. Die Bauern klopften an die Tür und an die Fenster. Auf einmal hörte Jankel draußen die Stimme des Grundherrn. Er forderte Jankel auf, den Gasthof zu öffnen. Jankel hatte keine andere Wahl, und der wütende Grundherr stürmte hinein und schrie: „Wofür hältst du dich? Warum gibst du deinen Kunden keinen Wodka? Ich habe dieses Lokal verpachtet, um Gewinne zu machen!“

„Herr“, stammelte Jankel. „wie Ihr wisst, bin ich Jude. Und vor Kurzem erklärte mir ein heiliger Jude, dass unsere Tora es uns verbietet, am Schabbat zu arbeiten. Darum habe ich den Gasthof heute geschlossen.“

Der Grundherr war verdutzt. „Wo ist dieser Mann? Bring ihn zu mir!“

Bald stand Rabbi Mosche Leib vor dem Grundherrn. „Sag mir, Jude, gilt dieses Verbot auch für einen Juden, der seinen Lebensunterhalt zu verlieren droht?“, fragte er schroff.

„Ja, es gilt auch dann“, antwortete der Zadik.

„Warum quälst du diesen Mann? Ich glaube kaum, dass du die gleiche Antwort geben würdest, wenn es um dich ginge. Aber ich werde es herausfinden. Wenn du wirklich aufrichtig bist, erlaube ich dem Wirt, am Schabbat zu schließen.“

Am folgenden Schabbat ritt der Grundherr mit einem Beutel voller Goldmünzen in den Wald. Als er sah, wie Rabbi Mosche Leib seine Hütte verließ, verstreute er die Münzen auf dem Waldboden und wartete. Zunächst ging der Zadik an den Münzen vorbei. Aber dann kehre er um und prüfte sie. Der Grundherr wartete schadenfroh auf den schicksalhaften Moment, in dem der Jude das Gold gierig auflesen würde. Aber nein, er ging weiter. Jetzt verließ der Grundherr sein Versteck.

„Ich bin sehr beeindruckt“, sagte er, „und ich werde mein Wort halten. Aber sag mir, warum hast du das Gold zuerst liegen lassen und dich dann gebückt, um es zu prüfen?“

„Zuerst“, erklärte Rabbi Mosche Leib, „ignorierte ich das Gold, weil Schabbat war. Aber dann fiel mir ein, dass ich mit ihm viele gefangene Juden retten könnte und dass dieses Gebot wichtiger sein könnte als die Schabbatverbote. Das verwirrte mich, und darum betete ich zu G-tt, mir ein Zeichen zu geben. Plötzlich verstand ich. G-tt kann mir gewiss helfen, das Geld zu bekommen, ohne den Schabbat zu entweihen. Hätte ich das Gold genommen, hättet Ihr meine Beweggründe nicht verstanden sondern geglaubt, dass ich es für mich behalten will. Ich habe den Schabbat immer genau eingehalten, und nun hat der Himmel mich vor Schaden bewahrt. Seht Ihr jetzt, wie wichtig es ist, die Heiligkeit des Schabbats zu wahren?“