Am Anfang erfüllte ein einfaches, G-ttliches Licht die Gesamtheit des Daseins … Als in Seinem Willen das Verlangen erwuchs die Welten zu schaffen, zog Er sein Licht an den Rändern zusammen und ließ eine Leere und einen leeren Raum in seiner Mitte, um die Existenz der Welten zu ermöglichen. (Dies war keine absolute Leere, da ein Rest des G-ttlichen Lichtes in der Leere verblieb.) Er zog dann eine einzelne Linie von Seinem unbegrenzten Licht in die Leere um die Welten zu erleuchten…

Rabbi Isaak Luria (der „Ari“)

Zuerst, […] werden heiraten […] gemäß dem Gesetz von Moses und Israel. Sie werden nichts voreinander verstecken oder verheimlichen. Sie werden in Liebe und Zuneigung zusammen leben, wie es der Weg der Welt ist…

Aus dem Text der Tena'im

Von diesem Punkt an sucht der Mann die Frau und verlangt die Frau nach dem Mann

Ein einzelner Mensch ist, so sagen unsere Weisen, nur „ein halber Körper.“ Der Mann wurde im Ebenbild G-ttes geschaffen, und das G-ttliche Ebenbild besitzt sowohl männliche, wie auch weibliche Aspekte. Wie das Buch Genesis ausführt: „Und G-tt erschuf den Mensch in seinem Ebenbild, im Ebenbild G-ttes erschuf er ihn; männlich und weiblich erschuf Er sie.“

Der Mensch war am Anfang „männlich und weiblich“ erschaffen – als ein „einzelnes Wesen mit zwei Gesichtern.“ Bald danach trennte G-tt die weibliche Seite von der männlichen, formte sie neu als zwei einzelne Geschöpfe, Mann und Frau. Von diesem Punkt an sucht der Mann die Frau und verlangt die Frau nach dem Mann. In der Heirat, der G-ttlichen Vereinigung, wird wieder ein Ganzes geschaffen, da der Mann und die Frau ihren originalen Zustand, als ein Wesen, wiedererlangen.

Die Spaltung des Lichtes

Die Trennung des Weiblichen von dem Männlichen erschuf die Spannung, welche sie zueinander und zu ihrer ultimativen Wiedervereinigung zieht, dies ist ein Thema, welches sich durch den ganzen Prozess der Schöpfung zieht, den ganzen Weg bis zu seinen Anfängen im ursprünglichen Willen G-ttes.

In den Lehren der Kabbala wird der Akt der Schöpfung als ein Akt von Zimzum – ein Akt des Zusammenziehens, des Verbergens und des Rückzugs – beschrieben. Am Anfang erfüllte das „Licht“ G-ttes (d.h., der manifestierte Ausdruck von Seiner Omnipräsenz und Omnipotenz) das ganze Dasein. Eine Welt, wie die unsere, - begrenzt und unabhängig, mit der Fähigkeit, sich von ihrem Schöpfer abzuwenden und ihn zu verleugnen – konnte nicht existieren, sie wäre, in dem G-ttlichen Licht, vollkommen annulliert worden. Um die Existenz der Welt zu ermöglichen, zog G-tt Sein Licht zusammen, erschuf eine „Leere“ und einen „leeren Raum“, in welchem Sein unbegrenztes Wesen und Seine Kraft sich nicht manifestierte. G-tt ermöglichte dann einer einzelnen „Linie“ (Kav) des Lichtes in diese Leere einzudringen, durch welche eine G-ttliche Energie floss, die jede Stufe der Wirklichkeit zuteil werden ließ, in Abhängigkeit der Fähigkeit diese zu erlangen.

Die Trennung des Weiblichen von dem Männlichen erschuf die Spannung

Aber die „Linie“ ist nicht die einzige Quelle von G-ttlicher Energie in unserer Welt. Der Rückzug des G-ttlichen Lichtes, der sich zu der Zeit des Zimzum ereignet hat, war nicht vollkommen; vielmehr verblieb ein „Rest“ (Reschimu) von Licht in der „Leere.“ Dieser „Rest“ ist die G-ttliche Kraft des Verbergens und der Begrenzung (im Gegensatz zu der Kraft der Offenbarung und unbegrenzten Expansion, die sich durch das Zimzum zurückzog). Die G-ttliche Energie widerspricht nicht der Existenz unserer endlichen und materiellen Welt; im Gegenteil – es ist die Quelle unserer Endlichkeit und Materialität.

In anderen Worten, das G-ttliche Licht, als Ausdruck von G-ttes unbegrenzter Kraft und Perfektion, schließt ebenfalls die G-ttliche Kapazität für begrenzte Selbstdarstellung ein. Der Kabbalist Rabbi Me'ir ibn Gabbai schrieb darüber, „Wie Er die Kraft der Unendlichkeit besitzt, so nennt er auch die Kraft der Endlichkeit sein eigen. Wenn du also sagst, dass er die Kraft der Unendlichkeit besitzt, aber die Kraft der Endlichkeit nicht besitzt, wirst du seiner Perfektion nicht gerecht.“ Was war ein Zimzum in unserer Wahrnehmung – ein sich zusammenziehen und verbergen – also eigentlich die Trennung der G-ttlichen Kraft der Endlichkeit von der Omnipotenz G-ttes.

Ursprünglich war das G-ttliche Licht vollkommen „einfach“ (d.h., es bestand nicht aus Komponenten oder Teilen): die Kraft der Endlichkeit war keine eigene Kraft, sondern einfach ein Faktor der G-ttlichen Omnipotenz. Mit dem Zimzum wurde die Manifestation der G-ttlichen Unendlichkeit hinter die Parameter der „Leere“ zurückgezogen, ließ somit das G-ttliche Potenzial der Beschränkung und Abgrenzung zurück, welches die Quelle für Endlichkeit und Abgrenzung unserer Wirklichkeit ist.

Eroberung und Kultivierung

Unser Ziel im Leben ist es, den Zimzum rückgängig zu machen – die „Leere“ wieder mit dem G-ttlichen Licht zu erfüllen. Es gibt hierfür zwei Wege wie dieses erreicht werden kann.

Ein Weg ist, das G-ttliche Licht, welches in der Zeit des Zimzum zurückgezogen wurde, in die Welt zu bringen. Dies bedeutet eine Erhöhung der Intensität des Lichtes, welches durch die „Linie“ strömt, durch ein allmähliches Anwachsen der Kapazität unserer Welt es zu erhalten. Immer wenn wir eine Mizwa tun, machen wir die Welt mehr empfänglicher für die G-ttliche Wahrheit, stimulieren eine größere Infusion des G-ttlichen Lichtes durch die „Linie.“ Schließlich ist die Welt an den Punkt erhoben, dass sie die volle Intensität des Lichtes, welches von jenseits der Parameter der „Leere“ kommt, empfangen kann, und das Areal der „Leere“ wird mit der manifesten Gegenwart G-ttes gesättigt sein, wie es war, bevor der Zimzum stattfand.

Die Endlichkeit und Beschaffenheit unserer Welt ist nicht weniger ein Ausdruck der G-ttlichen Wahrheit

Ein anderer Weg das Zimzum rückgängig zu machen, ist das G-ttliche in unserer Welt zu enthüllen. Der „Rest“ des G-ttlichen Lichtes, welcher in der Zeit des Zimzum zurückblieb, verborgen durch die Härte der Welten und Wirklichkeiten, die davon abgeleitet werden, wird dadurch offenbar. Die Endlichkeit und Beschaffenheit unserer Welt ist nicht weniger ein Ausdruck der G-ttlichen Wahrheit, wie die Unendlichkeit und Spiritualität, welche sie von „oben“ erfüllt.

Männliches und Weibliches

Die Kraft der Unendlichkeit, die in die „Linie“ eingebracht wird, ist das männliche Element im G-ttlichen Licht; die Kraft der Endlichkeit, welche im „Rest“ innewohnt, ist der weibliche Aspekt. Ursprünglich waren sie eins, ein einziger Ausdruck der Omnipotenz des G-ttlichen. Dann kam das Zimzum und unterteilte sie in zwei unterschiedliche Kräfte.

Folglich schließt die Anstrengung, das Verbergen des Zimzum rückgängig zu machen, beides – eine „männliche“ und eine „weibliche“ Dynamik – ein. Auf der einen Seite bemühen wir uns die Begrenzungen unserer Existenz zu überwinden, die Grenzen des Materiellen zu durchbrechen. Wir streben danach eine höhere, spirituelle Wahrheit in unsere Welt zu bringen, die Unendlichkeit G-ttes in unsere Leben einfließen zu lassen. Dies ist die „männliche“, aktive/aggressive Anstrengung die Natur der Realität zu überwinden, seine Grenzen zu erweitern, eine „neue“ G-ttlichkeit von außen durch die „Linie“ einzubringen, welche unsere Welt mit der Unendlichkeit G-ttes verbindet.

Aber da gibt es noch einen anderen Aspekt unserer Mission im Leben, eine andere Quelle der G-ttlichkeit für unsere Welt. Eine Quelle, welche sich in dem „Rest“ des G-ttlichen Lichtes findet, der unserer Wirklichkeit zu Grunde liegt. Dies ist die „weibliche“ Bemühung das G-ttliche in dem zu suchen, was ist; unser inneres Wesen zu stimulieren, statt es mit Licht von außen zu überwältigen. Zu kultivieren statt zu erobern.

Schließlich ist es das Ziel, die Heirat zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen zu Stande zu bringen. Wenn das Licht, welches von der Leere zurückgezogen wurde, wieder eingebracht wird und der „Rest“ des Lichtes, welcher zurückgelassen wurde, offenbart ist, wird das G-ttliche Licht wieder eins sein. Zu kultivieren statt zu erobern Die „Kraft der Unendlichkeit“ und die „Kraft der Endlichkeit“ werden in unserer Welt wieder einen einzigen Ausdruck der fundamentalen Wahrheit G-ttes errichten.

Die Vereinbarung

Wenn ein Mann und eine Frau beschließen zu heiraten, wird, entsprechend dem jüdischen Brauch, ein Vertrag – der Tena'im genannt wird – unterzeichnet, in dem die Pflichten jeder Seite der anderen gegenüber genau dargelegt werden. Der traditionelle Text der Tena'im beginnt: „Zuerst, […] werden heiraten […] gemäß dem Gesetz von Moses und Israel. Sie werden nichts voreinander verstecken oder verheimlichen. Sie werden in Liebe und Zuneigung zusammen leben, wie es der Weg der Welt ist…“

Eine Heirat zwischen zwei menschlichen Wesen ist vergleichbar der Heirat der G-ttlichen Kräfte, die das Ziel der Schöpfung ist. Hierauf wird in den Anfangszeilen der Tena'im angespielt: die erste Sache, die die Beteiligten einander versprechen (nachdem sie ihre Absicht zu heiraten erklärt haben) ist, dass „sie nichts voreinander verstecken oder verheimlichen werden.“ Hier haben wir die männlichen und die weiblichen Aspekte der kosmischen Heirat: dass das „verborgene“ G-ttliche Licht, welches durch den Zimzum von der Leere zurückgezogen wurde, wieder hergestellt werden soll, und dass das G-ttliche Licht, welches in der Welt versteckt wurde, wieder offenbart werden soll.

Die Vollendung dieser beiden Ziele wird das Zeitalter des Moschiach ankündigen, wenn die verschiedenen Kräfte der Schöpfung „in Liebe und Zuneigung zusammen leben werden, wie es der Weg der Welt ist“, in Harmonie mit sich und ihrem G-tt.